Teil 1 (bzw. 2):
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Teil 2 (bzw. 1):
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Es gibt keine klare Reihenfolge für die anderen beiden Teile.
Aber diese Geschichte hier ist die dritte über die Großstadtgeister
Aber diese Geschichte hier ist die dritte über die Großstadtgeister
Looking for Help on Saturday Night
Ich hatte die Haltestelle gefunden, von der Pablo erzählt hatte. Ich musste diese Undine finden, und hier hatte er sie getroffen – ich wusste nicht warum, aber ich hatte schreckliche Angst um das Paradies, und keiner von den ganzen Menschen in dieser Stadt schien darüber reden zu wollen oder nicht sonstwie im Kopf damit beschäftigen.
Das „Paradies“ war, wo ich hergekommen war – nach einer Auseinandersetzung mit meinen Eltern hatte ich irgendwie raus gewollt, und einen Spaziergang gemacht, und ich war aus einer Laune heraus über die Brücke in die Stadt gegangen, also raus aus dem Paradies, und, wie es aussah, hatte der Rest der Welt tatsächlich über zehn Jahre hinter sich gebracht seit dem Tag, als wir ins Paradies umgezogen waren.
Ich war schon einige Wochen draußen jetzt, und alterte voll schnell. Als ob mein Körper das Alter in meinem Pass wieder aufholen wollte. Heute sah ich schon aus wie neunzehn oder so, nach nichtmal einem Monat – aber so hatte ich immerhin einen Job in einer der Bars hier bekommen. Und da hatte ich Pablo getroffen, der mit vom Geist der Samstagnacht erzählt hatte, Undine.
Die suchte ich. Wenn Undine ein Geist war, kannte sie sich vielleicht mit diesem ganzen übernatürlichen Kram aus, und wusste vielleicht auch, was mit dem Paradies los war. Ich hatte nie mit irgendjemandem gestritten, in der ganzen Zeit dort nicht.
–
Aber sie kam nicht. Natürlich nicht – nach dem, was Pablo erzählt hatte, lag es ja irgendwie in ihrem Wesen, dass man sie nie sah, wenn man wollte. Aber ich suchte ja nicht nach Flirts... ich wollte mit Undine selbst reden.
Planlos lief ich die Straße auf und ab und von einer Bar in die andere. Einmal hörte ich, wie irgendein junger Kerl aus einer vorbeiziehenden Gruppe sagte: „Du kannst sie nicht einfach finden“ – er redete zu seinem Kumpel, aber irgendwie passend. Hätte auch für mich sein können.
Im nächsten Moment passierten mich aus der anderen Richtung zwei Typen mit Kioskbier in der Hand, die wohl gerade über irgendwelchen Beziehungskram sprachen, denn der eine meinte gerade: „Das war seine. Die war nicht für dich da. Deine kannst du woanders finden.“
Und da kam mit eine Idee. Ich sagte: „Bist du da?“, einfach in den leeren Raum hinein, vor mich hin.
Und eine viel zu früh betrunkene Punkergöre, die mir gegenüber am Laternenpfahl saß, schaute ganz verwundert hoch und antwortete mir: „Eh, ja? Klar bin ich da... Du bist creepy, ey. Geh mal weiter, okay?“
„Okay“, sagte ich, und ging weiter, in Richtung der großen Kreuzung, wo die Bahnen ständig neue Feierwütige herankarren, und redete dabei einfach weiter: „Undine?“
„Undine!“, lachte jemand vor einem Kiosk, „Was'n Scheißname!“
„Wie auch immer“, sagte ich, „Schön dich zu sprechen. Weißt du, warum ich mit dir reden will?“
„Kann ich doch nicht wissen“, schnappte ich die Antwort auf: diesmal von einem, der auf der anderen Straßenseite telefonierte. Ich blieb in Bewegung und holte auch mein Handy raus – um weniger creepy zu sein –, und unterhielt mich weiter mit dem Geist; die Antworten kamen immer von irgendwo, gerade eben hörbar, als doppeldeutige Bruchstücke anderer Gespräche der ganzen fremden Leute hier.
Ich sagte: „Die Siedlung Paradies geht kaputt. Dinge verändern sich, und so... Es passieren Sachen, die nie jemand wollte. Weißt du irgendwas darüber?“
„Du willst Hilfe...“, sagte jemand...
„...einen Ratschlag geben?...“
„...Kannst du vergessen...“
„...Hilfe geben ist einfach nix für mich.“
„...Aber Leute zusammenbringen...“
„...das mach eich einfach voll gerne!“
„...Ich kenn da wen...“
„...kannst du mich sehen?
Hallo?
Komm mal auf mich zu!“
– Die letzten Worte waren alle von derselben Stimme gesprochen worden. Und der redete noch weiter: „Hier... Hab das Wacken '17-Shirt an. Ich geh schonmal los, kannst ja einfach hinter mir her kommen.“
Das war der Typ mit dem Telefon! Er war auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig auf und ab gelaufen, jetzt legte er auf und ging zielstrebig los.
Ich zielstrebte ihm eilig hinterher.
An der Schlange von so einem Punk/Rock/Metal-Laden, bzw. dem Kellereingang davon, blieb er stehen.
„Hey“, sagte ich: „Samstagnacht?“
Der Typ drehte sich zu mir um und war anscheinend mächtig verwundert, dass ich tatsächlich ihn gemeint hatte.
„Ehm – ja...“, sagte er, „Samstagnacht. Freitag war gestern. Hier spielen heute Phiasco und Gleißer, und Jin Boscovic. Reason for Erection war gestern.“
„Achso“, meinte ich, „nee, ich meinte... Hat Samstagnacht uns zusammen gebracht?“
„Whoa.“, sagte der Typ: „Das klingt echt poetisch... also, ja. Ich geh jedenfalls hier aufs Konzert heute. Mit 'n paar Kumpels. Und meiner Freundin.“
In dem Moment sah ich die Untertitel vor ihm: „Sorry Mädel, ich bin vergeben, zumindest heute, aber wenn du jemanden kennenlernen willst, stell ich dir gern ein paar einsame Nerdmetalherzen vor, Freunde von mir, komm doch den Abend mit und schlepp einen von denen ab, wir sind eine echt coole Truppe.“
Er sagte: „Kannst dich ja anschließen. Wird sicher 'ne coole Truppe.“
Jetzt bin ich das Herz der Samstagnacht, dachte ich. Für ihn bin ich das jetzt gerade. Vielleicht führt sogar jemand in der Schlange neben uns so ein komisches Gebet-Gespräch wie ich vorhin, und das Nächste, was ich sage, wird außerdem für den dessen Antwort sein. Beziehungsweise deren.
Kann einen ja irre machen, der Gedanke.
Ich sagte: „naja, eigentlich ist das nicht so meine Musik“, und der Typ sagte: „Okay, schade, schönen Abend“, und da meinte ein Mädel hinter mir gerade: „Ich schick ihn dir raus“, und jemand, der gerade zum Rauchen raus kam – mit Stempel auf der Hand – sagte: „Draußen ist cool. Hier stehen bleiben?“
Also wünschte ich den Telefontypen einen gleichfalls schönen Abend und stellte mich neben den Kerl, der gerade rauchte.
So stand ich ziemlich blöd da.
Guckte auf mein Handy, scrollte den Chat mit Pablo hoch und tat so, als ob mich das interessiere. Nach einer Weile begann ich, zurückliegende Nachrichten auf Hinweise zu untersuchen, ob Pablo wohl auf mich steht oder nicht. Eine Stimme in mir sagte ja und eine andere nein, und den beiden beim Streiten zuzusehen, war ganz unterhaltsam.
Ich erörterte gerade den Unterschied zwischen einem Zwinkersmiley gefolgt von einem roten Herzchen und einem Herzaugen-Smiley – die Zwinker-Herzchen-Kombi war eindeutig erotischer -, als mich etwas an die Schulter stieß, das ein Zug oder eine Abrissbirne hätte sein können.
Es war allerdings ein Metalhead, so richtig mit Wikingerbart und ollem verwaschenem T-Shirt; dadrüber trug er aber so eine Lederjacke mit Nieten, wie die Punks sie tragen. Ein Bulldozer von einem Menschen.
Er hatte mich angerempelt – „Ey!“, sagte ich.
Er grinste und nickte mir zu: „Ey.“
Im nächsten Moment kam er mir sehr nahe und beugte sich zu meinem Ohr runter, wie man auf einer vollen Tanzfläche miteinander. Ein Geruch von Schweiß und Bier ging von ihm aus, aber nicht unbedingt eklig; eher roch es nach Wildheit und einer guten Zeit. Seine Stimme war breit und tief, als er mir ins Ohr sprach: „Samstagnacht sagt, du brauchst Hilfe?“
Das war mein Geist? Diese Gestalt hätte ich nie erwartet unter den Freunden vom Herzen der Samstagnacht.
„Wer bist du?“, wollte ich wissen.
„Was?!“, dröhnte er: „Du musst brüllen, sonst hör ich dich nicht.“
„Also reckte ich mich zu seinem Ohr, schirmte mit der Hand meine Stimme ab und rief: „Wer bist du?“
„Ah“, machte er: „Spirit sagen die Metaller. Und die Punks. Ich bin Moshpit. Aber ich red nicht gern. Wenn du ein Problem hast, helf ich dir auf. Wenn du alleine weiterkommst, bin ich wieder weg.“
„Du kennst Samstagnacht?“, rief ich.
„Wir sehn uns manchmal.“ Ihm schien diese Lautstärke von Sprechen überhaupt keine Mühe zu machen; seine Stimme war geschaffen dafür: „Aber die steht immer bloß am Rand, oder anner Bar. Öde. Trotzdem, ich steh auf sie. Machen ja alle. Ist’n Gefallen. Aber was ist jetzt dein Problem?“
Ich fragte: „Kennst du die Siedlung Paradies? Wo die Zeit steht?“
„Sicher. Ist ja gar nicht mal so verschieden zu meinen Pits. Aber zu leise da.“
„Das Paradies“, sagte ich, „Paradies geht kaputt. Was weißt du davon?“
Moshpit deklamierte plötzlich eine Zeile aus einem Gedicht oder Song, er fing an mit: „Und alles, was entsteht...“
„…ist wert, dass es zugrunde geht“, fiel ich ein. Wir endeten gemeinsam – dabei hatte ich kaum mitbekommen, als ich mit eingefallen war.
Er grinste mir zu.
„Aber was heißt das?“, wollte ich wissen.
„Es tut sich was“, sagte Moshpit. „Das Paradies wird eh enden, irgendwann. Aber irgendjemand beschleunigt es. Jemand bereitet eine Beschwörung vor. Will eins von den richtig grundlegenden Prinzipien manifestieren lassen.“
„Mephisto, meinst du? Vom dem war doch der Spruch vorhin.“
„‘Phisto ist ‘n cooler Typ, aber auch nur eine Erscheinungsform. Es gibt grundlegendere. Aber ja, eigentlich hast du Recht: Um dem geht es: Den Geist, der stets verneint. Das Vergehen. Das Enden. The Adversary.
Irgendjemand möchte mit dem selbst reden so wie du mit mir jetzt. Und ihn irgendwo hin leiten wahrscheinlich; vielleicht zu deiner Siedlung. Wer weiß.“
„Aber wer denn?“
Moshpit schaute kurz zur Seite – ob er durch alle die Häuser und Leute wirklich irgendjemanden ansah oder nur abdriftete, wusste ich nicht zu sagen. Dann sagte er: „Männlich, groß, nicht sehr sportlich. Um die 80 Kilo. Hat noch nie was von Körperspannung gehört.“
„Was? Körperspannung?“
„Das ist, was ich über den Typen weiß. Ich sehe von Menschen nicht das, was du alles siehst. Nur das Wichtige; sowas wie Namen sind mir scheißegal.“
Ich wiederholte: „Männlich, groß, 80 Kilo, keine Körperspannung…“
„Jep. Hat Angst, sich dreckig zu machen. Langweiler. Hat irgendwas an der Hand…“ – Moshpit schaute wieder weg, und kniff die Augen zusammen, wie wenn man eine kleine und sehr weit entfernte Sache genau anzusehen versucht – „leckt sich irgendwie dauernd die Finger ab. Hat da son Ding mit irgendwie. Finger ablecken ist riskant; du kannst dich beißen, wenn dich dann einer schief anrempelt.“
Ich fragte nach: „Warum leckt er seine Finger? Ist da etwas dran?“ Mir wurde kalt.
„Ja, er findet sie dreckig. Will ordentlich sein. Sauber. Aber er hat geschmolzenes Eis an den Fingern.“
Wir gingen auseinander, und standen erstmal so herum. Es dauerte eine Minute, bis ich glauben konnte, was ich da gehört hatte. Begreifen konnte ich es nicht. Er hatte nicht in der Siedlung bleiben wollen, aber ihr Vergehen vorantreiben? Warum das denn? Der liebe Nick!
Moshpit hatte sich längst wieder zurückgezogen zwischen die Leute und war wieder unten; von wo lautes Geschrammel hochdrang, jedes Mal wenn die Türe aufschwang. Die Schlange war weg; komplett durch diese Türe verschwunden.
Ich stand draußen; und hin und wieder zogen hübsch gemachte Menschen an mir vorbei; die mich jetzt wo ich hier stand und mit diesem Kerl geredet hatte, bestimmt für einen Metalfan hielten.
Um Moshpit noch einmal zu fragen, würde ich wohl herunter gehen müssen… nein, auch dann nicht. Er würde sich nicht zeigen. Wie er gesagt hatte: Moshpit hilft dir, wenn du am Boden liegst, aber sobald du wieder stehst und einen Schritt alleine machen kannst, musst du den auch alleine tun.
Das „Paradies“ war, wo ich hergekommen war – nach einer Auseinandersetzung mit meinen Eltern hatte ich irgendwie raus gewollt, und einen Spaziergang gemacht, und ich war aus einer Laune heraus über die Brücke in die Stadt gegangen, also raus aus dem Paradies, und, wie es aussah, hatte der Rest der Welt tatsächlich über zehn Jahre hinter sich gebracht seit dem Tag, als wir ins Paradies umgezogen waren.
Ich war schon einige Wochen draußen jetzt, und alterte voll schnell. Als ob mein Körper das Alter in meinem Pass wieder aufholen wollte. Heute sah ich schon aus wie neunzehn oder so, nach nichtmal einem Monat – aber so hatte ich immerhin einen Job in einer der Bars hier bekommen. Und da hatte ich Pablo getroffen, der mit vom Geist der Samstagnacht erzählt hatte, Undine.
Die suchte ich. Wenn Undine ein Geist war, kannte sie sich vielleicht mit diesem ganzen übernatürlichen Kram aus, und wusste vielleicht auch, was mit dem Paradies los war. Ich hatte nie mit irgendjemandem gestritten, in der ganzen Zeit dort nicht.
–
Aber sie kam nicht. Natürlich nicht – nach dem, was Pablo erzählt hatte, lag es ja irgendwie in ihrem Wesen, dass man sie nie sah, wenn man wollte. Aber ich suchte ja nicht nach Flirts... ich wollte mit Undine selbst reden.
Planlos lief ich die Straße auf und ab und von einer Bar in die andere. Einmal hörte ich, wie irgendein junger Kerl aus einer vorbeiziehenden Gruppe sagte: „Du kannst sie nicht einfach finden“ – er redete zu seinem Kumpel, aber irgendwie passend. Hätte auch für mich sein können.
Im nächsten Moment passierten mich aus der anderen Richtung zwei Typen mit Kioskbier in der Hand, die wohl gerade über irgendwelchen Beziehungskram sprachen, denn der eine meinte gerade: „Das war seine. Die war nicht für dich da. Deine kannst du woanders finden.“
Und da kam mit eine Idee. Ich sagte: „Bist du da?“, einfach in den leeren Raum hinein, vor mich hin.
Und eine viel zu früh betrunkene Punkergöre, die mir gegenüber am Laternenpfahl saß, schaute ganz verwundert hoch und antwortete mir: „Eh, ja? Klar bin ich da... Du bist creepy, ey. Geh mal weiter, okay?“
„Okay“, sagte ich, und ging weiter, in Richtung der großen Kreuzung, wo die Bahnen ständig neue Feierwütige herankarren, und redete dabei einfach weiter: „Undine?“
„Undine!“, lachte jemand vor einem Kiosk, „Was'n Scheißname!“
„Wie auch immer“, sagte ich, „Schön dich zu sprechen. Weißt du, warum ich mit dir reden will?“
„Kann ich doch nicht wissen“, schnappte ich die Antwort auf: diesmal von einem, der auf der anderen Straßenseite telefonierte. Ich blieb in Bewegung und holte auch mein Handy raus – um weniger creepy zu sein –, und unterhielt mich weiter mit dem Geist; die Antworten kamen immer von irgendwo, gerade eben hörbar, als doppeldeutige Bruchstücke anderer Gespräche der ganzen fremden Leute hier.
Ich sagte: „Die Siedlung Paradies geht kaputt. Dinge verändern sich, und so... Es passieren Sachen, die nie jemand wollte. Weißt du irgendwas darüber?“
„Du willst Hilfe...“, sagte jemand...
„...einen Ratschlag geben?...“
„...Kannst du vergessen...“
„...Hilfe geben ist einfach nix für mich.“
„...Aber Leute zusammenbringen...“
„...das mach eich einfach voll gerne!“
„...Ich kenn da wen...“
„...kannst du mich sehen?
Hallo?
Komm mal auf mich zu!“
– Die letzten Worte waren alle von derselben Stimme gesprochen worden. Und der redete noch weiter: „Hier... Hab das Wacken '17-Shirt an. Ich geh schonmal los, kannst ja einfach hinter mir her kommen.“
Das war der Typ mit dem Telefon! Er war auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig auf und ab gelaufen, jetzt legte er auf und ging zielstrebig los.
Ich zielstrebte ihm eilig hinterher.
An der Schlange von so einem Punk/Rock/Metal-Laden, bzw. dem Kellereingang davon, blieb er stehen.
„Hey“, sagte ich: „Samstagnacht?“
Der Typ drehte sich zu mir um und war anscheinend mächtig verwundert, dass ich tatsächlich ihn gemeint hatte.
„Ehm – ja...“, sagte er, „Samstagnacht. Freitag war gestern. Hier spielen heute Phiasco und Gleißer, und Jin Boscovic. Reason for Erection war gestern.“
„Achso“, meinte ich, „nee, ich meinte... Hat Samstagnacht uns zusammen gebracht?“
„Whoa.“, sagte der Typ: „Das klingt echt poetisch... also, ja. Ich geh jedenfalls hier aufs Konzert heute. Mit 'n paar Kumpels. Und meiner Freundin.“
In dem Moment sah ich die Untertitel vor ihm: „Sorry Mädel, ich bin vergeben, zumindest heute, aber wenn du jemanden kennenlernen willst, stell ich dir gern ein paar einsame Nerdmetalherzen vor, Freunde von mir, komm doch den Abend mit und schlepp einen von denen ab, wir sind eine echt coole Truppe.“
Er sagte: „Kannst dich ja anschließen. Wird sicher 'ne coole Truppe.“
Jetzt bin ich das Herz der Samstagnacht, dachte ich. Für ihn bin ich das jetzt gerade. Vielleicht führt sogar jemand in der Schlange neben uns so ein komisches Gebet-Gespräch wie ich vorhin, und das Nächste, was ich sage, wird außerdem für den dessen Antwort sein. Beziehungsweise deren.
Kann einen ja irre machen, der Gedanke.
Ich sagte: „naja, eigentlich ist das nicht so meine Musik“, und der Typ sagte: „Okay, schade, schönen Abend“, und da meinte ein Mädel hinter mir gerade: „Ich schick ihn dir raus“, und jemand, der gerade zum Rauchen raus kam – mit Stempel auf der Hand – sagte: „Draußen ist cool. Hier stehen bleiben?“
Also wünschte ich den Telefontypen einen gleichfalls schönen Abend und stellte mich neben den Kerl, der gerade rauchte.
So stand ich ziemlich blöd da.
Guckte auf mein Handy, scrollte den Chat mit Pablo hoch und tat so, als ob mich das interessiere. Nach einer Weile begann ich, zurückliegende Nachrichten auf Hinweise zu untersuchen, ob Pablo wohl auf mich steht oder nicht. Eine Stimme in mir sagte ja und eine andere nein, und den beiden beim Streiten zuzusehen, war ganz unterhaltsam.
Ich erörterte gerade den Unterschied zwischen einem Zwinkersmiley gefolgt von einem roten Herzchen und einem Herzaugen-Smiley – die Zwinker-Herzchen-Kombi war eindeutig erotischer -, als mich etwas an die Schulter stieß, das ein Zug oder eine Abrissbirne hätte sein können.
Es war allerdings ein Metalhead, so richtig mit Wikingerbart und ollem verwaschenem T-Shirt; dadrüber trug er aber so eine Lederjacke mit Nieten, wie die Punks sie tragen. Ein Bulldozer von einem Menschen.
Er hatte mich angerempelt – „Ey!“, sagte ich.
Er grinste und nickte mir zu: „Ey.“
Im nächsten Moment kam er mir sehr nahe und beugte sich zu meinem Ohr runter, wie man auf einer vollen Tanzfläche miteinander. Ein Geruch von Schweiß und Bier ging von ihm aus, aber nicht unbedingt eklig; eher roch es nach Wildheit und einer guten Zeit. Seine Stimme war breit und tief, als er mir ins Ohr sprach: „Samstagnacht sagt, du brauchst Hilfe?“
Das war mein Geist? Diese Gestalt hätte ich nie erwartet unter den Freunden vom Herzen der Samstagnacht.
„Wer bist du?“, wollte ich wissen.
„Was?!“, dröhnte er: „Du musst brüllen, sonst hör ich dich nicht.“
„Also reckte ich mich zu seinem Ohr, schirmte mit der Hand meine Stimme ab und rief: „Wer bist du?“
„Ah“, machte er: „Spirit sagen die Metaller. Und die Punks. Ich bin Moshpit. Aber ich red nicht gern. Wenn du ein Problem hast, helf ich dir auf. Wenn du alleine weiterkommst, bin ich wieder weg.“
„Du kennst Samstagnacht?“, rief ich.
„Wir sehn uns manchmal.“ Ihm schien diese Lautstärke von Sprechen überhaupt keine Mühe zu machen; seine Stimme war geschaffen dafür: „Aber die steht immer bloß am Rand, oder anner Bar. Öde. Trotzdem, ich steh auf sie. Machen ja alle. Ist’n Gefallen. Aber was ist jetzt dein Problem?“
Ich fragte: „Kennst du die Siedlung Paradies? Wo die Zeit steht?“
„Sicher. Ist ja gar nicht mal so verschieden zu meinen Pits. Aber zu leise da.“
„Das Paradies“, sagte ich, „Paradies geht kaputt. Was weißt du davon?“
Moshpit deklamierte plötzlich eine Zeile aus einem Gedicht oder Song, er fing an mit: „Und alles, was entsteht...“
„…ist wert, dass es zugrunde geht“, fiel ich ein. Wir endeten gemeinsam – dabei hatte ich kaum mitbekommen, als ich mit eingefallen war.
Er grinste mir zu.
„Aber was heißt das?“, wollte ich wissen.
„Es tut sich was“, sagte Moshpit. „Das Paradies wird eh enden, irgendwann. Aber irgendjemand beschleunigt es. Jemand bereitet eine Beschwörung vor. Will eins von den richtig grundlegenden Prinzipien manifestieren lassen.“
„Mephisto, meinst du? Vom dem war doch der Spruch vorhin.“
„‘Phisto ist ‘n cooler Typ, aber auch nur eine Erscheinungsform. Es gibt grundlegendere. Aber ja, eigentlich hast du Recht: Um dem geht es: Den Geist, der stets verneint. Das Vergehen. Das Enden. The Adversary.
Irgendjemand möchte mit dem selbst reden so wie du mit mir jetzt. Und ihn irgendwo hin leiten wahrscheinlich; vielleicht zu deiner Siedlung. Wer weiß.“
„Aber wer denn?“
Moshpit schaute kurz zur Seite – ob er durch alle die Häuser und Leute wirklich irgendjemanden ansah oder nur abdriftete, wusste ich nicht zu sagen. Dann sagte er: „Männlich, groß, nicht sehr sportlich. Um die 80 Kilo. Hat noch nie was von Körperspannung gehört.“
„Was? Körperspannung?“
„Das ist, was ich über den Typen weiß. Ich sehe von Menschen nicht das, was du alles siehst. Nur das Wichtige; sowas wie Namen sind mir scheißegal.“
Ich wiederholte: „Männlich, groß, 80 Kilo, keine Körperspannung…“
„Jep. Hat Angst, sich dreckig zu machen. Langweiler. Hat irgendwas an der Hand…“ – Moshpit schaute wieder weg, und kniff die Augen zusammen, wie wenn man eine kleine und sehr weit entfernte Sache genau anzusehen versucht – „leckt sich irgendwie dauernd die Finger ab. Hat da son Ding mit irgendwie. Finger ablecken ist riskant; du kannst dich beißen, wenn dich dann einer schief anrempelt.“
Ich fragte nach: „Warum leckt er seine Finger? Ist da etwas dran?“ Mir wurde kalt.
„Ja, er findet sie dreckig. Will ordentlich sein. Sauber. Aber er hat geschmolzenes Eis an den Fingern.“
Wir gingen auseinander, und standen erstmal so herum. Es dauerte eine Minute, bis ich glauben konnte, was ich da gehört hatte. Begreifen konnte ich es nicht. Er hatte nicht in der Siedlung bleiben wollen, aber ihr Vergehen vorantreiben? Warum das denn? Der liebe Nick!
Moshpit hatte sich längst wieder zurückgezogen zwischen die Leute und war wieder unten; von wo lautes Geschrammel hochdrang, jedes Mal wenn die Türe aufschwang. Die Schlange war weg; komplett durch diese Türe verschwunden.
Ich stand draußen; und hin und wieder zogen hübsch gemachte Menschen an mir vorbei; die mich jetzt wo ich hier stand und mit diesem Kerl geredet hatte, bestimmt für einen Metalfan hielten.
Um Moshpit noch einmal zu fragen, würde ich wohl herunter gehen müssen… nein, auch dann nicht. Er würde sich nicht zeigen. Wie er gesagt hatte: Moshpit hilft dir, wenn du am Boden liegst, aber sobald du wieder stehst und einen Schritt alleine machen kannst, musst du den auch alleine tun.