Mir war noch niemals ein Wesen solcher Zartheit begegnet.Ich schlief auf dem Balkon, weil es so schön warm war, und lag gerade an der Schwelle von wach zu Schlaf – der Moment, an dem die Geister an ehesten auftauchen.
Es war ein schöner Tag gewesen: der Frühling war endgültig angelandet, ich hatte jemanden kennengelernt – kaum kennen, nur so getroffen halt --, und mit Freunden abends noch spontan ein Bierchen gezischt... “I'm so happy, I could die”, war mir gerade in den Sinn gekommen.
Im Englischen ist das wohl sowas wie ein Sprichwort: Ich bin so glücklich: ich könnte jetzt sofort sterben, und es wäre nichts verloren. Das heißt es.
“Willst du?”, sagte eine Stimme.
Ich erschrak nicht, obwohl sie vollkommen unvermittelt sprach, so freundlich klang sie.
Als ich die Augen aufschlug, sah ich den Geist: im Schneidersitz neben meinem Lager, dort, wo eigentlich gar nicht genug Platz zum Sitzen sein dürfte; in Gestalt eines Kindes oder Jugendlichen, sehr schmal, die Haut fast weiß und ein weißes Gewand an, das an den gefalteten Knies fast bis zum Boden hing. Aber im Gesicht lag der Ausdruck eines uralten und unveränderliches Wesens – unveränderlich zumindest in menschlichen Maßstäben.
“Was?”, fragte ich.
“Ob du sterben möchtest”, sagte die Erscheinung.
Sterben. So wie sie es aussprach, konnte man sich gar nicht mehr fürchten vor diesem Wort wie sonst immer.
“Wie kommst du darauf?”
“Du hast es gerade geflüstert: So happy I could die, hast du gesagt. Also, willst du? Es wird sowieso passieren, früher oder später. Also warum nicht jetzt? Ich gebe dir das angenehmste Sterben, das es gibt.”
Ich drehte mich auf die Seite, der Erscheinung zugewandt, aber blieb lieben. So, wie sie da saß – gerade, die Hände im Schoß gefaltet --, gab sie überhaupt keinen Anstoß zu körperlicher Angst.
“Ich würde meine Freunde traurig machen”, sagte ich.
“Ich würde mit deinen Freunden reden”, war die Antwort, “und ihnen anbieten, deine Erinnerungen wegzunehmen. Oder ich sage ihnen, dass du nur verreist wärst, das ist viel weniger traurig. Ich kenne sogar einen Dämon, der Trauer selbst direkt wegnehmen kann.”
Ich fragte: “Warum willst du, dass ich sterbe?”
Die bleiche Erscheinung seufzte kurz und überlegte, wo sie anfangen soll.
“Was bist du?”, fragte ich.
“Ich bin”, sagte sie, “ein Wesen ohne Körper. Du kannst Geist sagen, oder Dschinni, oder Spuk.”
“Warst du einmal ein Mensch?”
“Das kann ich dir nicht sagen. Weißt du, was vor deiner Geburt war? Wenn ich der Geist eines Toten bin, dann nimmt der Tod alle Erinnerung. Aber das ist ungewiss. Jedenfalls wäre ich niemand gewesen, den du kanntest, denn ich bin schon sehr lange... ich.
Sehr lange. Ich schaue euch Menschen zu, und sehe eure Zivilisationen auf- und untergehen, eure Kulturen... die jetzige hat es schon ziemlich weit geschafft. Am weitesten von allen, jenach Maßstab.
Aber ichbinmüdedavon,euch immer nur zuzuschauen. Ich will einen Körper. Wenn du mich dein Leben beenden lässt, werde ich in deinen Körper hinein gehen und ihn übernehmen.”
“Das ist gruselig.”
“Warum? Du hast doch einmal gesagt, es wäre dir egal, was nach deinem Tod mit deinem Körper gemacht wird.”
“Aber ich mag meinen Körper”, sagte ich.
Die Erscheinung sagte:”Ich auch. Aber er wird nicht so bleiben. Mit der Zeit nutzt er ab und geht kaputt. Und wenn du jetzt gerade so glücklich bist, wie du gesagt hat, dass stirb doch einfach jetzt.”
“Warum fragst du keinen Alten, oder... Depressiven, jemanden, der sterben will?”
“Ich will keinen alten Körper. Und einen Selbstmörder zu fragen... Ich weiß nicht, ob ich nicht mit dem Körper die Depression auch übernehmen würde.
Das will ich nicht. Davor habe ich zu viel Angst.”
“Und darum fragst du lieber glückliche Menschen?”
“Ja. Verstehst du?”
“Du möchtest ein glücklicher Mensch sein.”
“Genau. Das möchtest du doch auch.”
“Ja, ich verstehe... aber ich glaube, du verstehst nicht. Wie lange schon versuchst du es so?”
“Einige Jahrhunderte.”
“Jahrhunderte!”
Die Erscheinung lächelte über mein Erschrecken und sagte: “Ich habe doch die Zeit!”
“Ja, hast du”, sagte ich, “aber es ist keine Frage der Zeit. So wirst du es nie schaffen, und wenn du es versuchst bis die Menschheit ausstirbt.”
Zum ersten Mal zeigt das alte junge Gesicht eine andere Regung: der Geist erschrak. Aber er blieb ruhig sitzen, und forderte mehr Erklärung ein: “Warum?”
“Weil glückliche Menschen auch weiterleben wollen”, sagte ich: “Selbst, wenn sie es danach nicht mehr sind, oder sogar nie mehr so sehr glücklich werden sollten: möglich bleibt es ja doch, und so lange machen wir auch noch weiter.
Du sagst, du hast Angst, einen Selbstmörder zu fragen? Gut! Lebende haben immer Angst. Aber das hält uns nicht auf. Wenn du ein Mensch werden willst, fang damit an. Nimm einen Selbstmörderkörper, oder einen Kranken, von mir aus einen, der kurz vorm Tode steht, oder einen Gefolterten, was weiß ich – und mach dessen Leben dir gut. Meins kriegst du nicht. Und auch das von niemand anderem, dem mal 'So happy, I could die' rausrutscht.”
Der Geist hatte aufmerksam zugehört, und sprach jetzt langsam und bedacht: “Das klingt... fürchterlich... aber könnte sein. Aber woher willst du das wissen? Du lebst doch nur eine Handvoll Jahre lang.”
“Ja, und? Ich weiß es, weil ich einer von den Menschen bin.”
Die Erscheinung flatterte wie eine Fahne im Wind, und das schöne Gesicht sah von mir weg, auf die im Schoß gefalteten Hände.
“Darüber muss ich nachdenken”, sagte sie.
“Ja, von mir aus.”, sagte ich: “denk von mir aus ein Jahrtausend lang darüber nach. Aber du brauchst kein einziges Mal mehr an jemanden wie mich herantreten. Kein einziges Mal.”
“Da bist du dir sicher?”
“Absolut. Darf ich jetzt wieder schlafen?”
“Ja. Sicher. Schlafe... oder was auch immer du willst.”
-- Damit verschwand das sanfte Ding, und ich lag wieder alleine auf dem Balkon.
Absolut sicher war ich natürlich nicht. Vielleicht hätte das nächste Opfer dieses Spuks ja schon ja gesagt – aber eigentlich war ich doch ziemlich sicher. Ein “ziemlich sicher” wäre bei dem Geist aber nicht angekommen. Der hätte es bei allem unter “absolut” noch Jahrtausende lang weiter versucht, und selbst wenn, hätte er irgendwann irgendjemandes Freunde unglücklich gemacht.
Ich weiß nicht, ob er nach seinem Überlegen einen Selbstmörder fragen wird, oder ob ihm vielleicht die Lust am Lebendigsein ganz vergangen ist. Aber wie dem auch sei: es ist besser so.
Es war ein schöner Tag gewesen: der Frühling war endgültig angelandet, ich hatte jemanden kennengelernt – kaum kennen, nur so getroffen halt --, und mit Freunden abends noch spontan ein Bierchen gezischt... “I'm so happy, I could die”, war mir gerade in den Sinn gekommen.
Im Englischen ist das wohl sowas wie ein Sprichwort: Ich bin so glücklich: ich könnte jetzt sofort sterben, und es wäre nichts verloren. Das heißt es.
“Willst du?”, sagte eine Stimme.
Ich erschrak nicht, obwohl sie vollkommen unvermittelt sprach, so freundlich klang sie.
Als ich die Augen aufschlug, sah ich den Geist: im Schneidersitz neben meinem Lager, dort, wo eigentlich gar nicht genug Platz zum Sitzen sein dürfte; in Gestalt eines Kindes oder Jugendlichen, sehr schmal, die Haut fast weiß und ein weißes Gewand an, das an den gefalteten Knies fast bis zum Boden hing. Aber im Gesicht lag der Ausdruck eines uralten und unveränderliches Wesens – unveränderlich zumindest in menschlichen Maßstäben.
“Was?”, fragte ich.
“Ob du sterben möchtest”, sagte die Erscheinung.
Sterben. So wie sie es aussprach, konnte man sich gar nicht mehr fürchten vor diesem Wort wie sonst immer.
“Wie kommst du darauf?”
“Du hast es gerade geflüstert: So happy I could die, hast du gesagt. Also, willst du? Es wird sowieso passieren, früher oder später. Also warum nicht jetzt? Ich gebe dir das angenehmste Sterben, das es gibt.”
Ich drehte mich auf die Seite, der Erscheinung zugewandt, aber blieb lieben. So, wie sie da saß – gerade, die Hände im Schoß gefaltet --, gab sie überhaupt keinen Anstoß zu körperlicher Angst.
“Ich würde meine Freunde traurig machen”, sagte ich.
“Ich würde mit deinen Freunden reden”, war die Antwort, “und ihnen anbieten, deine Erinnerungen wegzunehmen. Oder ich sage ihnen, dass du nur verreist wärst, das ist viel weniger traurig. Ich kenne sogar einen Dämon, der Trauer selbst direkt wegnehmen kann.”
Ich fragte: “Warum willst du, dass ich sterbe?”
Die bleiche Erscheinung seufzte kurz und überlegte, wo sie anfangen soll.
“Was bist du?”, fragte ich.
“Ich bin”, sagte sie, “ein Wesen ohne Körper. Du kannst Geist sagen, oder Dschinni, oder Spuk.”
“Warst du einmal ein Mensch?”
“Das kann ich dir nicht sagen. Weißt du, was vor deiner Geburt war? Wenn ich der Geist eines Toten bin, dann nimmt der Tod alle Erinnerung. Aber das ist ungewiss. Jedenfalls wäre ich niemand gewesen, den du kanntest, denn ich bin schon sehr lange... ich.
Sehr lange. Ich schaue euch Menschen zu, und sehe eure Zivilisationen auf- und untergehen, eure Kulturen... die jetzige hat es schon ziemlich weit geschafft. Am weitesten von allen, jenach Maßstab.
Aber ichbinmüdedavon,euch immer nur zuzuschauen. Ich will einen Körper. Wenn du mich dein Leben beenden lässt, werde ich in deinen Körper hinein gehen und ihn übernehmen.”
“Das ist gruselig.”
“Warum? Du hast doch einmal gesagt, es wäre dir egal, was nach deinem Tod mit deinem Körper gemacht wird.”
“Aber ich mag meinen Körper”, sagte ich.
Die Erscheinung sagte:”Ich auch. Aber er wird nicht so bleiben. Mit der Zeit nutzt er ab und geht kaputt. Und wenn du jetzt gerade so glücklich bist, wie du gesagt hat, dass stirb doch einfach jetzt.”
“Warum fragst du keinen Alten, oder... Depressiven, jemanden, der sterben will?”
“Ich will keinen alten Körper. Und einen Selbstmörder zu fragen... Ich weiß nicht, ob ich nicht mit dem Körper die Depression auch übernehmen würde.
Das will ich nicht. Davor habe ich zu viel Angst.”
“Und darum fragst du lieber glückliche Menschen?”
“Ja. Verstehst du?”
“Du möchtest ein glücklicher Mensch sein.”
“Genau. Das möchtest du doch auch.”
“Ja, ich verstehe... aber ich glaube, du verstehst nicht. Wie lange schon versuchst du es so?”
“Einige Jahrhunderte.”
“Jahrhunderte!”
Die Erscheinung lächelte über mein Erschrecken und sagte: “Ich habe doch die Zeit!”
“Ja, hast du”, sagte ich, “aber es ist keine Frage der Zeit. So wirst du es nie schaffen, und wenn du es versuchst bis die Menschheit ausstirbt.”
Zum ersten Mal zeigt das alte junge Gesicht eine andere Regung: der Geist erschrak. Aber er blieb ruhig sitzen, und forderte mehr Erklärung ein: “Warum?”
“Weil glückliche Menschen auch weiterleben wollen”, sagte ich: “Selbst, wenn sie es danach nicht mehr sind, oder sogar nie mehr so sehr glücklich werden sollten: möglich bleibt es ja doch, und so lange machen wir auch noch weiter.
Du sagst, du hast Angst, einen Selbstmörder zu fragen? Gut! Lebende haben immer Angst. Aber das hält uns nicht auf. Wenn du ein Mensch werden willst, fang damit an. Nimm einen Selbstmörderkörper, oder einen Kranken, von mir aus einen, der kurz vorm Tode steht, oder einen Gefolterten, was weiß ich – und mach dessen Leben dir gut. Meins kriegst du nicht. Und auch das von niemand anderem, dem mal 'So happy, I could die' rausrutscht.”
Der Geist hatte aufmerksam zugehört, und sprach jetzt langsam und bedacht: “Das klingt... fürchterlich... aber könnte sein. Aber woher willst du das wissen? Du lebst doch nur eine Handvoll Jahre lang.”
“Ja, und? Ich weiß es, weil ich einer von den Menschen bin.”
Die Erscheinung flatterte wie eine Fahne im Wind, und das schöne Gesicht sah von mir weg, auf die im Schoß gefalteten Hände.
“Darüber muss ich nachdenken”, sagte sie.
“Ja, von mir aus.”, sagte ich: “denk von mir aus ein Jahrtausend lang darüber nach. Aber du brauchst kein einziges Mal mehr an jemanden wie mich herantreten. Kein einziges Mal.”
“Da bist du dir sicher?”
“Absolut. Darf ich jetzt wieder schlafen?”
“Ja. Sicher. Schlafe... oder was auch immer du willst.”
-- Damit verschwand das sanfte Ding, und ich lag wieder alleine auf dem Balkon.
Absolut sicher war ich natürlich nicht. Vielleicht hätte das nächste Opfer dieses Spuks ja schon ja gesagt – aber eigentlich war ich doch ziemlich sicher. Ein “ziemlich sicher” wäre bei dem Geist aber nicht angekommen. Der hätte es bei allem unter “absolut” noch Jahrtausende lang weiter versucht, und selbst wenn, hätte er irgendwann irgendjemandes Freunde unglücklich gemacht.
Ich weiß nicht, ob er nach seinem Überlegen einen Selbstmörder fragen wird, oder ob ihm vielleicht die Lust am Lebendigsein ganz vergangen ist. Aber wie dem auch sei: es ist besser so.