NeeIch sitze vorm Starbuck’s und vor mir stehen drei gleiche Becher voll Einfach Nur Kaffee mit meinem Namen. Die meisten Tische sind voll, aber keiner setzt sich zu mir, natürlich nicht.
Ich war schon zu lange weg. Aber was soll ich machen? Mehr als meinen Job tun kann ich nicht, und wenn die Leute sich so eine Mühe damit geben, mich nicht zu sehen, dann tun sies halt nicht.
Aber du siehst mich. Das weiß ich, denn wir fixieren uns jetzt schon seit gefühlten zehn Minuten, in denen du die lange Straße auf mich zu gekommen bist, und je näher du gekommen bist, desto klarer war dass du wirklich mich ansiehst und nicht nur zufällig die Straße entlang.
Ich nicke dir zu.
Wie siehst du mich? Mit Knochen und Sense, oder Kutte, oder siehst du diesen Businessman aus Rendevous mit Joe Black, oder einen Engel? Ich schaue dich weiterhin an.
Du trittst zwischen den zwei Blumenkübeln durch in den Außenbereich des Cafés ein und guckst mich an und bleibst stehen. Dann ist deine Spontaneität aufgebraucht, aber bevor du gehst, lächle ich dir zu und ja, du kommst her. Setz dich, sagt meine Hand.
„Willst du ’nen Kaffee?“ Ich schieb dir einen rüber. Es ist Sommer. Du trägst eine kurze Hose und ein schlabberiges Shirt aus einem Stoff, durch den der Wind gut durch geht.
„Wartest du auf jemand?“
Ich folge deinem Blick zu den übrigen beiden Bechern vor mir. „Ach. Ne. Ich hab halt Pause.“
„Relativ lang, anscheinend.“
„So lang ich mir nehme. Aber ich glaub, es werden schon so zwei, drei Stunden.“
„Und dann?“
„Dann verschwinde ich hier.“
„Ach sooo?“
Das war ne komische Antwort von mir gerade, ne? Aber so ist es; ich werde verschwinden. Ist ja nicht so, dass ich gerade nicht außerdem in dreißigtausend Krankenzimmern stehen würde, bei den Betten von Millionen alter Menschen, in tausenden von Schlachthöfen und an diesem kleinen Felsvorsprung, an dem John P. Albrich sich in anderthalb Minuten festzuhalten versuchen wird.
Aber jeder braucht mal Pause, also mach ich meine halt hier. Ein paar Stunden, weil wenn die Pause kein Ende hat, ist es keine Pause mehr sondern Rumgammeln, und das hasse ich wie die Pest.
„John P. Albrich?“, fragst du.
Fuck. Ich hab garnicht bemerkt, dass ich das laut gedacht hab. Da verliert man son bisschen den Überblick drüber, wenn einen eh keiner hört – „Ja, der klettert grad in irgendnem Fjord in Norwegen. Tolle Aussicht. Aber er hat den letzten Sicherungshaken vergessen, er rutscht ab und fällt 20m ins Seil, und dann prallt er mit dem Kopf vor die Felswand.“
Jetzt guck mich nicht so an. Du hast doch lange schon gesehen, dass ich der Tod bin.
„Also –“, sagst du, „du bist der Tod, nicht wahr? Heißt das, ich sterbe gleich? Ich hab keine Drogen genommen, von denen ich wüsste… oder ist das so ne Nahtoderfahrung?“
„Naja, wir sitzen über nen Meter auseinander. Nah ist das nicht, oder?“
„Sterbe ich?“
„Ne. Ich bin wirklich einfach nur hier, um einen Kaffee zu trinken.“
„Im Starbuck’s.“
„Was ist falsch am Starbuck’s?“
„Naja… Ich hätte gedacht, dass der Tod in irgendner unfassbar stylishen dunklen Bar sitzt und 100 Jahre alten Whisky trinkt oder so.“
Auf meinen Bechern steht „Cheryl“. Der erste Name, der mir in den Sinn kam – weil die Barfrau ihn an die Bluse geheftet hat. Die hat nichtmal bemerkt, dass sie ihren eigenen Namen auf die Becher schrieb. Vermeintlich eigenen.
„Ne, weißt du“, sag ich, „in solchen Bars, da beraten dich die Leute, die kommen zu dir an den Tisch und fragen was du willst und reden mit dir. Und das ist das Problem: die meisten Leute sehen mich nicht. Die wollen mich eben nicht sehen. Aber die da“ – ich nicke zur Theke rüber – „die kriegt gar nicht mit, wer vor ihr steht. Name, Bestellung, Geld. Aus mehr bestehen ihre Kunden nicht.“
„Und die anderen sehen dich alle nicht?“
„Ne.“
„Ach so. Ich hab mich schon gefragt, warum hier keine Riesen-Panik ausgebrochen ist.“
„Wie seh ich denn aus?“
„Du? Öhm–– “
„Sag schon! Du kannst mich nicht beleidigen.“
„Ja, ehm… Also, das mit der Panik war nur'n Witz. Wie siehst du aus...“ – du guckst mich an, musternd. Länger als nötig. – „ziemlich gut, eigentlich.“
„Anziehend?“
„Naja… Ja. verdammt anziehend, wenn man mal ehrlich ist. Ich mein– ich geh meistens nicht einfach so in irgendein Café, nur wegen nem Blickkontakt.“
„Hm. Schonmal dran gedacht, zu nem Therapeuten zu gehen? Ich mein… du stehst auf den Tod.“
„Naja, vielleicht bin ich ein bisschen mor–“
„Morbid? Sag das nicht. Morbid ist ein Scheißwort. Leute, die in ihrer Freizeit übern Friedhof gehen, die sind morbid, ne? Ich meine… Früher waren die Friedhöfe immer um die Kirchen rum, und die Leute sind jeden Sonntag auf dem Weg zur Messe durch gegangen. Ganz normal. Waren die alle morbid?“
„Okay, dann bin ich nicht morbid. Vielleicht bin ich auch einfach unfassbar cool und… ausgeglichen. Und In-mir-ruhend. Und so.“
„Naja, hätte ich jetzt getippt, schon.“
„Ne.“
„Hm.“
Wir schauen in unsere Kaffee runter. Wir trinken. Meiner ist alle, ich mach den dritten auf.
„Wieso sind die Friedhöfe um die Kirchen weggegangen?“
„Ich denke mal, man hat den Platz besser gebrauchen können. Oder sie wurden einfach zu groß.“
„Zu viele Tote?“
„Zu viele Leute in der Stadt.“
Pause.
Du redest wieder:
„Ja, also… ich muss mal weiter… ich würd ja fragen ob du bei facebook bist, aber wahrscheinlich nicht, ne?“
Ich schüttel den Kopf: „Vielleicht sieht man sich ja so nochmal wieder.“
„Will ich das?“
„Willst du?“
„Naja. Also, du siehst schon nicht schlecht aus, ne… aber du bist schon echt depri irgendwie.“
Du Arschloch. Sag’s mir auch noch. Leb du mal in einer Stadt, in der dich zwei unter drei Millionen Leuten überhaupt sehen! Ich bin depri?
Ich zucke die Achseln. „Tja.“
Du stehst auf. „Also, danke für den Kaffee, ne… Ach, soll ich dir noch irgendwas bestellen? Mich sehen die hier sicher!“
„Nee danke. Ich glaub, meine Pause ist jetzt vorbei.“
Wir verabschieden uns, du gehst raus, ich setze mich wieder hin und verschwinde dabei aus deinem Blickfeld. Für die Leute im Café ist dieser Tisch grade nur irgendwas im Augenwinkel, und als der nächste reinkommt und sich umguckt, sieht er, dass er leer ist.
Cheryl kommt und räumt die leeren Becher weg.
Ich bin also depri? Deine Mudda. Aber weißte was, ich glaub, du bist es auch, zumindest genug, um nächstes Wochenende in irgendeiner dieser unfassbar stylishen dunklen Bars zu sitzen, gibt ja genug davon. Und ich, ich werd mich dann einfach mal dazusetzen, und vielleicht bestellst du mir dann einen 100 Jahre alten Whiskey?
Ich war schon zu lange weg. Aber was soll ich machen? Mehr als meinen Job tun kann ich nicht, und wenn die Leute sich so eine Mühe damit geben, mich nicht zu sehen, dann tun sies halt nicht.
Aber du siehst mich. Das weiß ich, denn wir fixieren uns jetzt schon seit gefühlten zehn Minuten, in denen du die lange Straße auf mich zu gekommen bist, und je näher du gekommen bist, desto klarer war dass du wirklich mich ansiehst und nicht nur zufällig die Straße entlang.
Ich nicke dir zu.
Wie siehst du mich? Mit Knochen und Sense, oder Kutte, oder siehst du diesen Businessman aus Rendevous mit Joe Black, oder einen Engel? Ich schaue dich weiterhin an.
Du trittst zwischen den zwei Blumenkübeln durch in den Außenbereich des Cafés ein und guckst mich an und bleibst stehen. Dann ist deine Spontaneität aufgebraucht, aber bevor du gehst, lächle ich dir zu und ja, du kommst her. Setz dich, sagt meine Hand.
„Willst du ’nen Kaffee?“ Ich schieb dir einen rüber. Es ist Sommer. Du trägst eine kurze Hose und ein schlabberiges Shirt aus einem Stoff, durch den der Wind gut durch geht.
„Wartest du auf jemand?“
Ich folge deinem Blick zu den übrigen beiden Bechern vor mir. „Ach. Ne. Ich hab halt Pause.“
„Relativ lang, anscheinend.“
„So lang ich mir nehme. Aber ich glaub, es werden schon so zwei, drei Stunden.“
„Und dann?“
„Dann verschwinde ich hier.“
„Ach sooo?“
Das war ne komische Antwort von mir gerade, ne? Aber so ist es; ich werde verschwinden. Ist ja nicht so, dass ich gerade nicht außerdem in dreißigtausend Krankenzimmern stehen würde, bei den Betten von Millionen alter Menschen, in tausenden von Schlachthöfen und an diesem kleinen Felsvorsprung, an dem John P. Albrich sich in anderthalb Minuten festzuhalten versuchen wird.
Aber jeder braucht mal Pause, also mach ich meine halt hier. Ein paar Stunden, weil wenn die Pause kein Ende hat, ist es keine Pause mehr sondern Rumgammeln, und das hasse ich wie die Pest.
„John P. Albrich?“, fragst du.
Fuck. Ich hab garnicht bemerkt, dass ich das laut gedacht hab. Da verliert man son bisschen den Überblick drüber, wenn einen eh keiner hört – „Ja, der klettert grad in irgendnem Fjord in Norwegen. Tolle Aussicht. Aber er hat den letzten Sicherungshaken vergessen, er rutscht ab und fällt 20m ins Seil, und dann prallt er mit dem Kopf vor die Felswand.“
Jetzt guck mich nicht so an. Du hast doch lange schon gesehen, dass ich der Tod bin.
„Also –“, sagst du, „du bist der Tod, nicht wahr? Heißt das, ich sterbe gleich? Ich hab keine Drogen genommen, von denen ich wüsste… oder ist das so ne Nahtoderfahrung?“
„Naja, wir sitzen über nen Meter auseinander. Nah ist das nicht, oder?“
„Sterbe ich?“
„Ne. Ich bin wirklich einfach nur hier, um einen Kaffee zu trinken.“
„Im Starbuck’s.“
„Was ist falsch am Starbuck’s?“
„Naja… Ich hätte gedacht, dass der Tod in irgendner unfassbar stylishen dunklen Bar sitzt und 100 Jahre alten Whisky trinkt oder so.“
Auf meinen Bechern steht „Cheryl“. Der erste Name, der mir in den Sinn kam – weil die Barfrau ihn an die Bluse geheftet hat. Die hat nichtmal bemerkt, dass sie ihren eigenen Namen auf die Becher schrieb. Vermeintlich eigenen.
„Ne, weißt du“, sag ich, „in solchen Bars, da beraten dich die Leute, die kommen zu dir an den Tisch und fragen was du willst und reden mit dir. Und das ist das Problem: die meisten Leute sehen mich nicht. Die wollen mich eben nicht sehen. Aber die da“ – ich nicke zur Theke rüber – „die kriegt gar nicht mit, wer vor ihr steht. Name, Bestellung, Geld. Aus mehr bestehen ihre Kunden nicht.“
„Und die anderen sehen dich alle nicht?“
„Ne.“
„Ach so. Ich hab mich schon gefragt, warum hier keine Riesen-Panik ausgebrochen ist.“
„Wie seh ich denn aus?“
„Du? Öhm–– “
„Sag schon! Du kannst mich nicht beleidigen.“
„Ja, ehm… Also, das mit der Panik war nur'n Witz. Wie siehst du aus...“ – du guckst mich an, musternd. Länger als nötig. – „ziemlich gut, eigentlich.“
„Anziehend?“
„Naja… Ja. verdammt anziehend, wenn man mal ehrlich ist. Ich mein– ich geh meistens nicht einfach so in irgendein Café, nur wegen nem Blickkontakt.“
„Hm. Schonmal dran gedacht, zu nem Therapeuten zu gehen? Ich mein… du stehst auf den Tod.“
„Naja, vielleicht bin ich ein bisschen mor–“
„Morbid? Sag das nicht. Morbid ist ein Scheißwort. Leute, die in ihrer Freizeit übern Friedhof gehen, die sind morbid, ne? Ich meine… Früher waren die Friedhöfe immer um die Kirchen rum, und die Leute sind jeden Sonntag auf dem Weg zur Messe durch gegangen. Ganz normal. Waren die alle morbid?“
„Okay, dann bin ich nicht morbid. Vielleicht bin ich auch einfach unfassbar cool und… ausgeglichen. Und In-mir-ruhend. Und so.“
„Naja, hätte ich jetzt getippt, schon.“
„Ne.“
„Hm.“
Wir schauen in unsere Kaffee runter. Wir trinken. Meiner ist alle, ich mach den dritten auf.
„Wieso sind die Friedhöfe um die Kirchen weggegangen?“
„Ich denke mal, man hat den Platz besser gebrauchen können. Oder sie wurden einfach zu groß.“
„Zu viele Tote?“
„Zu viele Leute in der Stadt.“
Pause.
Du redest wieder:
„Ja, also… ich muss mal weiter… ich würd ja fragen ob du bei facebook bist, aber wahrscheinlich nicht, ne?“
Ich schüttel den Kopf: „Vielleicht sieht man sich ja so nochmal wieder.“
„Will ich das?“
„Willst du?“
„Naja. Also, du siehst schon nicht schlecht aus, ne… aber du bist schon echt depri irgendwie.“
Du Arschloch. Sag’s mir auch noch. Leb du mal in einer Stadt, in der dich zwei unter drei Millionen Leuten überhaupt sehen! Ich bin depri?
Ich zucke die Achseln. „Tja.“
Du stehst auf. „Also, danke für den Kaffee, ne… Ach, soll ich dir noch irgendwas bestellen? Mich sehen die hier sicher!“
„Nee danke. Ich glaub, meine Pause ist jetzt vorbei.“
Wir verabschieden uns, du gehst raus, ich setze mich wieder hin und verschwinde dabei aus deinem Blickfeld. Für die Leute im Café ist dieser Tisch grade nur irgendwas im Augenwinkel, und als der nächste reinkommt und sich umguckt, sieht er, dass er leer ist.
Cheryl kommt und räumt die leeren Becher weg.
Ich bin also depri? Deine Mudda. Aber weißte was, ich glaub, du bist es auch, zumindest genug, um nächstes Wochenende in irgendeiner dieser unfassbar stylishen dunklen Bars zu sitzen, gibt ja genug davon. Und ich, ich werd mich dann einfach mal dazusetzen, und vielleicht bestellst du mir dann einen 100 Jahre alten Whiskey?