"If I die before I wake, pray the Lord my soul to take",
hat man früher immer gesagt, als die Menschen noch an einen Gott glaubten.
Heute sind wir weiser, aber wir vermissen ihn. Nicht den Gott: aber das Glauben.
Die Menschen haben jahrtausendelang davon geträumt, durch die Luft zu fliegen. Dieser Wunsch saß so tief, dass er früher oder später einfach erfüllt werden musste. Man hat es Generation um Generation nur für ein Hirngespinst gehalten, aber irgendwann haben sie dann tatsächlich das Fliegen erfunden.
Und die Menschen schauten auch immer schon zu den Sternen auf – das Einzige, was die Besiedelung ferner Planeten verhindert hätte, wäre die vollständige Vernichtung der Menschen gewesen, oder Degeneration.
Aber die gab es nicht.
Ich bin auf einem Planeten geboren, von dem aus man den Stern Sonne nicht mal mehr sehen kann. Von der Entfernung her würde es gehen; aber er liegt in einer kosmischen Staubwolke. Darum gibt es hier keine Sterne, sondern nur ein immer gleiches Muster leuchtender Überreste eines vor wenigen Jahrmillionen explodierten Sterns, die in einem gleichmäßigen Rautenmuster nachts den Himmel überziehen.
Keine Sternbilder. Nur dieses Raster, an jeder Stelle meines Planeten.
Die Oberfläche ist weit genug terrageformt, dass man ohne Atemgerät draußen herumlaufen kann, aber das war es auch.
Wir haben den Bildungsstandard der gesamten restlichen Menschheit, denn Nachrichten schicken ist einfach. Aber Transport ist teuer, darum ist unsere wirtschaftliche Entwicklungsstufe immer noch präindustriell. In regelmäßigen Abständen liegen Siedlungen, in denen immer eine Pumpe steht, mit der Kohlenstoff und andere brauchbare Elemente aus vielen Kilometern Tiefe heraufgeholt werden, um zu essen, zu trinken, und das Terraforming weiter voran zu treiben, in dem man die richtigen Gase und Partikel in die Atmosphäre bläst. In etwa hundert Jahren wird die Wolkendecke dicht sein. Dann wird sie abregnen, und zusammen mit der Asche aus präzise gezündeten Vulkanausbrüchen wird urbarer Grund entstehen. Dann können wir pflanzen. Genauer: unsere Nachfahren werden es dann können.
Bis dahin ist dieser Planet von einer einzige Wüste aus feinem grauen Sand bedeckt, kalt und absolut trocken bis in siebentausend Meter Tiefe. Darüber ein Himmel, der Tags einfach leer ist bis auf die neblig aufgeblähte Sonne – ein Roter Riese, sie explodiert in voraussichtlich zweiundzwanzig Millionen Jahren –, und nachts das Raster leuchtender Sternentrümmer.
Niemand verlässt die Siedlungen, wenn er nicht muss.
Aber wenn einer losgeht – zum Wanderer wird –, transformiert sich das ganze Leben: man wird nachtaktiv.
Tags durch die Wüste zu laufen, die auf Kilometer in jede beliebige Richtung dem Auge absolut nichts bietet, ohne Gerüche in der Nase außer der eigenen Scheiße, und ohne andere Menschen um einen herum, ist zu belastend für den Geist. Um sich der Belastung durch die Leere anzupassen, würde man einfach wahnsinnig, und dann hilft man niemandem mehr weiter.
Also wandert man immer nur bei Nacht. Erstens kann man nachts besser navigieren: man braucht nur eine genaue Uhr, dann kann man am Raster am Himmel immer die genaue Richtung ablesen. Und man muss natürlich dringend notieren, wann man 90°-Kehren gemacht hat.
Aber vor allem kann man die Wüste in der Nacht nicht sehen: ein paar Meter kann das Auge im Schein der eigenen Laterne erkennen, dahinter gibt es nur Schwärze. Nicht die gnadenlos klare Leere einer realen Wüste, sondern einfach gar nichts – und dann kommen die Geister.
Es gibt keine Geister. Streng genommen sind sie also auch eine Art Wahnsinn: eine Einbildung nämlich. Aber wenn man wieder unter Menschen ist, und wieder am Tag wacht, erholt man sich schnell wieder von ihnen.
Die menschliche Phantasie ist immer bereit, sich etwas für die Leerstellen auszudenken. Aber man muss sie auch lassen; und wenn das Auge eine Wüste meldet, dann sieht man eben die Wüste. So meldet das Auge nichts, und die Phantasie füllt, und man behält den Verstand.
…
Ich habe mich schon aufs Lager gelegt, und werde gleich einschlafen. Ich sollte einschlafen bevor es hell wird, sonst erscheinen die Geister in der nächsten Nacht sicher zögerlicher. Denke ich mir.
Heute waren es die Toten – bei mir sind es immer Tote, anscheinend bin ich nicht kreativ genug für irgendwas anderes. Die Geister der Toten sind Standard.
Eine war eine Frau, um die sechzig. Nur eine helle unscharfe Erscheinung, die sofort verschwand, wenn man genau versuchte hinzusehen, aber die Stimme war immer deutlich. „Du hast nicht mehr genug Vorräte“, sagte sie. „Du bist zu früh abgebogen und wirst schneller in den Bereich kommen, wo es felsig ist. Da kommst du nicht mehr schnell genug voran, und dann verhungerst du.“
Anscheinend habe ich also Angst zu verhungern. Brauche ich aber nicht zu haben, meine Vorräte waren genau ausgerechnet.
Ein anderer war einfach nur ein farbiger Fleck – keine genaue Farbe, sondern alle zusammen. So ist das ja mit Einbildungen: wenn das Hirn denkt „bunt“, dann ist der eingebildete Geist eben bunt, ohne dass er dafür die eine oder eine andere Farbe haben müsste.
Mit dem habe ich mich eine Weile unterhalten. Er wäre auch ein Wanderer gewesen, sagte er, und wir unterhielten uns über die Felsen und die Geister.
„Wir sind keine Einbildungen“, sagte der: „Wir sind wirklich die Geister derer, die in der Wüste gestorben sind. Du bist bloß nicht fähig, zu glauben, dass es so etwas gibt! Oh, du bornierter kleingeistiger Prolet! Einmal etwas gelernt, und das wird nie mehr in Frage gestellt! Was, wenn es Geister doch gibt? Es gibt keinen Beweis, aber es gibt auch keinen Gegenbeweis!“
Ein interessanter Gedanke. Vor allem „Prolet“ als Beleidigung zu verwenden fand ich interessant, das würde ich zu einem anderen Menschen niemals tun. Aber zu mir selbst anscheinend schon, da war anscheinend doch etwas elitärer Anspruch in meiner Erziehung... keine Ahnung, wo ich den aufgeschnappt hatte.
Ich schlief ein, und als es wieder dunkel war, klingelte mein Wecker, und es ging weiter. Andere Geister, andere Gedanken.
In der Einsamkeit lernt man Dinge über sich, die man nie für möglich gehalten hätte.
Und vielleicht auch gar nicht so genau hätte wissen wollen.
...
Ich verhungere. Ich bin zu früh in das Gebiet gekommen, wo es felsig ist. Meine Vorräte sind aufgebraucht, die Universalbatterie des Funkgeräts habe ich in einem Anfall der Verzweiflung aufgegessen (diese Batterien sind als Notration gedacht und sättigen für etwa drei Tage, man schwitzt nur sehr heftig und bläht die ganze Zeit) und das Wasser in der Zirkulation wird auch nicht mehr richtig rein; dafür ist schon zu viel als Schweiß verdunstet.
Die Siedler in 59/34 werden vergeblich auf mich warten; eine Vermisstenmeldung absetzen; man wird mich nach drei Tagen der Suche für tot erklären und zuhause in 59/09 jemand anderen losschicken.
Aber natürlich gehe ich trotzdem weiter, das ist eine Sache des Prinzips. Es könnte ja immernoch etwas Unvorhergesehenes passieren, an das ich in meinem verbrauchten Zustand nicht denke. Und immernoch verschlafe ich sorgfältig die Tage und wache nur in der Nacht, aber die Geister zeigen sich immer weniger – vielleicht liegt es an den Felsen. Die sind zwar nur maximal zwei Meter hoch, meistens deutlich weniger, aber das ist mehr Abwechslung als die Wüste.
Ich vermisse sie.
Ich wünsche mir so sehr, irgendeinen Geist zu sehen.
Warum erscheint keiner, der mir Vorwürfe macht? Ich sterbe! Da muss ich doch irgendjemanden für für schuldig erachten, mich selbst zum Beispiel, warum kommt dann kein Geist, der das sagt? Ein Wütender! Ein Tobender!
Diese ältere Frau vom Anfang zum Beispiel, die könnte jetzt sagen, dass sie es mir doch gesagt hätte...
Ist sie es, da vorne?
Mitten in der Finsternis – natürlich – sitzt eine blasse Gestalt auf einem Stein, das Gesicht in den Händen vergraben, und weint.
„Nicht weinen!“ belle ich ihn entgegen.
Weinen! Ist das Mitleid? Selbstmitleid! Was bin ich doch für ein Jammerlappen! Trauer: okay, ich werde ja meine Freunde nicht wiedersehen und so, aber still da sitzen und weinen – ist das, was ich gerade eigentlich am liebsten tun würde? Wie erbärmlich.
„Doch!“, sagt sie, und plötzlich steht sie direkt am Rand des erleuchteten Kreises. „Ich tue, was ich will, hörst du? Du möchtest gerne ein erbärmlicher jammernder Hund genannt werden, aber das werde ich nicht. Das kannst du schön selber tun. Verstehst du? Das kannst du mal schön selber tun, ich nicht!“
Ich starre die Erscheinung nur an. In Selbsthass zu sterben ist nicht schön, aber schön ist sterben sowieso nicht.
Also gut. Ich hasse sie.
In ihrem immer deutlicherer Gesicht zeichnet sich eine Regung von großer Anstrengung ab, und sie setzt einen Fuß vor, auf den Lichtkreis zu.
Noch einen.
Sie kommt näher.
Tritt in den Lichtkreis hinein.
Steht mir genau gegenüber.
Und ich denke: das muss von außen total bescheuert aussehen, ich alleine mit dem Blick, als ob ich jemanden anstarren würde. Denn so ist es doch.
Die Geister können nicht in den Lichtschein treten.
Sie erscheinen nur dort, wo nichts ist.
Aber dieser Geist steht direkt da im Licht vor mir; und so sehr ich mich konzentriere, ich kann nicht durch ihn hindurch sehen.
Als wäre dort etwas Wirkliches.
Aber es gibt keine Geister, das weiß ich.
Das ist nur eine Halluzination. Vom Hunger.
Etwas anderes kann es doch nicht.
Nein, nichts anderes.
Es gibt keine Geister.
Nur eine Illusion.
Eine Halluzination.
Es kann nichts anderes sein.
Es darf nicht.
Es darf einfach nichts anderes sein.
Es darf nicht!!
hat man früher immer gesagt, als die Menschen noch an einen Gott glaubten.
Heute sind wir weiser, aber wir vermissen ihn. Nicht den Gott: aber das Glauben.
Die Menschen haben jahrtausendelang davon geträumt, durch die Luft zu fliegen. Dieser Wunsch saß so tief, dass er früher oder später einfach erfüllt werden musste. Man hat es Generation um Generation nur für ein Hirngespinst gehalten, aber irgendwann haben sie dann tatsächlich das Fliegen erfunden.
Und die Menschen schauten auch immer schon zu den Sternen auf – das Einzige, was die Besiedelung ferner Planeten verhindert hätte, wäre die vollständige Vernichtung der Menschen gewesen, oder Degeneration.
Aber die gab es nicht.
Ich bin auf einem Planeten geboren, von dem aus man den Stern Sonne nicht mal mehr sehen kann. Von der Entfernung her würde es gehen; aber er liegt in einer kosmischen Staubwolke. Darum gibt es hier keine Sterne, sondern nur ein immer gleiches Muster leuchtender Überreste eines vor wenigen Jahrmillionen explodierten Sterns, die in einem gleichmäßigen Rautenmuster nachts den Himmel überziehen.
Keine Sternbilder. Nur dieses Raster, an jeder Stelle meines Planeten.
Die Oberfläche ist weit genug terrageformt, dass man ohne Atemgerät draußen herumlaufen kann, aber das war es auch.
Wir haben den Bildungsstandard der gesamten restlichen Menschheit, denn Nachrichten schicken ist einfach. Aber Transport ist teuer, darum ist unsere wirtschaftliche Entwicklungsstufe immer noch präindustriell. In regelmäßigen Abständen liegen Siedlungen, in denen immer eine Pumpe steht, mit der Kohlenstoff und andere brauchbare Elemente aus vielen Kilometern Tiefe heraufgeholt werden, um zu essen, zu trinken, und das Terraforming weiter voran zu treiben, in dem man die richtigen Gase und Partikel in die Atmosphäre bläst. In etwa hundert Jahren wird die Wolkendecke dicht sein. Dann wird sie abregnen, und zusammen mit der Asche aus präzise gezündeten Vulkanausbrüchen wird urbarer Grund entstehen. Dann können wir pflanzen. Genauer: unsere Nachfahren werden es dann können.
Bis dahin ist dieser Planet von einer einzige Wüste aus feinem grauen Sand bedeckt, kalt und absolut trocken bis in siebentausend Meter Tiefe. Darüber ein Himmel, der Tags einfach leer ist bis auf die neblig aufgeblähte Sonne – ein Roter Riese, sie explodiert in voraussichtlich zweiundzwanzig Millionen Jahren –, und nachts das Raster leuchtender Sternentrümmer.
Niemand verlässt die Siedlungen, wenn er nicht muss.
Aber wenn einer losgeht – zum Wanderer wird –, transformiert sich das ganze Leben: man wird nachtaktiv.
Tags durch die Wüste zu laufen, die auf Kilometer in jede beliebige Richtung dem Auge absolut nichts bietet, ohne Gerüche in der Nase außer der eigenen Scheiße, und ohne andere Menschen um einen herum, ist zu belastend für den Geist. Um sich der Belastung durch die Leere anzupassen, würde man einfach wahnsinnig, und dann hilft man niemandem mehr weiter.
Also wandert man immer nur bei Nacht. Erstens kann man nachts besser navigieren: man braucht nur eine genaue Uhr, dann kann man am Raster am Himmel immer die genaue Richtung ablesen. Und man muss natürlich dringend notieren, wann man 90°-Kehren gemacht hat.
Aber vor allem kann man die Wüste in der Nacht nicht sehen: ein paar Meter kann das Auge im Schein der eigenen Laterne erkennen, dahinter gibt es nur Schwärze. Nicht die gnadenlos klare Leere einer realen Wüste, sondern einfach gar nichts – und dann kommen die Geister.
Es gibt keine Geister. Streng genommen sind sie also auch eine Art Wahnsinn: eine Einbildung nämlich. Aber wenn man wieder unter Menschen ist, und wieder am Tag wacht, erholt man sich schnell wieder von ihnen.
Die menschliche Phantasie ist immer bereit, sich etwas für die Leerstellen auszudenken. Aber man muss sie auch lassen; und wenn das Auge eine Wüste meldet, dann sieht man eben die Wüste. So meldet das Auge nichts, und die Phantasie füllt, und man behält den Verstand.
…
Ich habe mich schon aufs Lager gelegt, und werde gleich einschlafen. Ich sollte einschlafen bevor es hell wird, sonst erscheinen die Geister in der nächsten Nacht sicher zögerlicher. Denke ich mir.
Heute waren es die Toten – bei mir sind es immer Tote, anscheinend bin ich nicht kreativ genug für irgendwas anderes. Die Geister der Toten sind Standard.
Eine war eine Frau, um die sechzig. Nur eine helle unscharfe Erscheinung, die sofort verschwand, wenn man genau versuchte hinzusehen, aber die Stimme war immer deutlich. „Du hast nicht mehr genug Vorräte“, sagte sie. „Du bist zu früh abgebogen und wirst schneller in den Bereich kommen, wo es felsig ist. Da kommst du nicht mehr schnell genug voran, und dann verhungerst du.“
Anscheinend habe ich also Angst zu verhungern. Brauche ich aber nicht zu haben, meine Vorräte waren genau ausgerechnet.
Ein anderer war einfach nur ein farbiger Fleck – keine genaue Farbe, sondern alle zusammen. So ist das ja mit Einbildungen: wenn das Hirn denkt „bunt“, dann ist der eingebildete Geist eben bunt, ohne dass er dafür die eine oder eine andere Farbe haben müsste.
Mit dem habe ich mich eine Weile unterhalten. Er wäre auch ein Wanderer gewesen, sagte er, und wir unterhielten uns über die Felsen und die Geister.
„Wir sind keine Einbildungen“, sagte der: „Wir sind wirklich die Geister derer, die in der Wüste gestorben sind. Du bist bloß nicht fähig, zu glauben, dass es so etwas gibt! Oh, du bornierter kleingeistiger Prolet! Einmal etwas gelernt, und das wird nie mehr in Frage gestellt! Was, wenn es Geister doch gibt? Es gibt keinen Beweis, aber es gibt auch keinen Gegenbeweis!“
Ein interessanter Gedanke. Vor allem „Prolet“ als Beleidigung zu verwenden fand ich interessant, das würde ich zu einem anderen Menschen niemals tun. Aber zu mir selbst anscheinend schon, da war anscheinend doch etwas elitärer Anspruch in meiner Erziehung... keine Ahnung, wo ich den aufgeschnappt hatte.
Ich schlief ein, und als es wieder dunkel war, klingelte mein Wecker, und es ging weiter. Andere Geister, andere Gedanken.
In der Einsamkeit lernt man Dinge über sich, die man nie für möglich gehalten hätte.
Und vielleicht auch gar nicht so genau hätte wissen wollen.
...
Ich verhungere. Ich bin zu früh in das Gebiet gekommen, wo es felsig ist. Meine Vorräte sind aufgebraucht, die Universalbatterie des Funkgeräts habe ich in einem Anfall der Verzweiflung aufgegessen (diese Batterien sind als Notration gedacht und sättigen für etwa drei Tage, man schwitzt nur sehr heftig und bläht die ganze Zeit) und das Wasser in der Zirkulation wird auch nicht mehr richtig rein; dafür ist schon zu viel als Schweiß verdunstet.
Die Siedler in 59/34 werden vergeblich auf mich warten; eine Vermisstenmeldung absetzen; man wird mich nach drei Tagen der Suche für tot erklären und zuhause in 59/09 jemand anderen losschicken.
Aber natürlich gehe ich trotzdem weiter, das ist eine Sache des Prinzips. Es könnte ja immernoch etwas Unvorhergesehenes passieren, an das ich in meinem verbrauchten Zustand nicht denke. Und immernoch verschlafe ich sorgfältig die Tage und wache nur in der Nacht, aber die Geister zeigen sich immer weniger – vielleicht liegt es an den Felsen. Die sind zwar nur maximal zwei Meter hoch, meistens deutlich weniger, aber das ist mehr Abwechslung als die Wüste.
Ich vermisse sie.
Ich wünsche mir so sehr, irgendeinen Geist zu sehen.
Warum erscheint keiner, der mir Vorwürfe macht? Ich sterbe! Da muss ich doch irgendjemanden für für schuldig erachten, mich selbst zum Beispiel, warum kommt dann kein Geist, der das sagt? Ein Wütender! Ein Tobender!
Diese ältere Frau vom Anfang zum Beispiel, die könnte jetzt sagen, dass sie es mir doch gesagt hätte...
Ist sie es, da vorne?
Mitten in der Finsternis – natürlich – sitzt eine blasse Gestalt auf einem Stein, das Gesicht in den Händen vergraben, und weint.
„Nicht weinen!“ belle ich ihn entgegen.
Weinen! Ist das Mitleid? Selbstmitleid! Was bin ich doch für ein Jammerlappen! Trauer: okay, ich werde ja meine Freunde nicht wiedersehen und so, aber still da sitzen und weinen – ist das, was ich gerade eigentlich am liebsten tun würde? Wie erbärmlich.
„Doch!“, sagt sie, und plötzlich steht sie direkt am Rand des erleuchteten Kreises. „Ich tue, was ich will, hörst du? Du möchtest gerne ein erbärmlicher jammernder Hund genannt werden, aber das werde ich nicht. Das kannst du schön selber tun. Verstehst du? Das kannst du mal schön selber tun, ich nicht!“
Ich starre die Erscheinung nur an. In Selbsthass zu sterben ist nicht schön, aber schön ist sterben sowieso nicht.
Also gut. Ich hasse sie.
In ihrem immer deutlicherer Gesicht zeichnet sich eine Regung von großer Anstrengung ab, und sie setzt einen Fuß vor, auf den Lichtkreis zu.
Noch einen.
Sie kommt näher.
Tritt in den Lichtkreis hinein.
Steht mir genau gegenüber.
Und ich denke: das muss von außen total bescheuert aussehen, ich alleine mit dem Blick, als ob ich jemanden anstarren würde. Denn so ist es doch.
Die Geister können nicht in den Lichtschein treten.
Sie erscheinen nur dort, wo nichts ist.
Aber dieser Geist steht direkt da im Licht vor mir; und so sehr ich mich konzentriere, ich kann nicht durch ihn hindurch sehen.
Als wäre dort etwas Wirkliches.
Aber es gibt keine Geister, das weiß ich.
Das ist nur eine Halluzination. Vom Hunger.
Etwas anderes kann es doch nicht.
Nein, nichts anderes.
Es gibt keine Geister.
Nur eine Illusion.
Eine Halluzination.
Es kann nichts anderes sein.
Es darf nicht.
Es darf einfach nichts anderes sein.
Es darf nicht!!