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Give My Love to Rose

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Give My Love to Rose ist eine Geschichte aus dem Postapoc-Pulpgeschichten-Projekt NoCHID Tales und erschien mit zwei weiteren Geschichten in der Ausgabe Fliegende Lasergewehrbären VS Ninjakraken aus dem Weltall. Lust auf mehr davon? Let me know!
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Give My Love to Rose

Ich fand ihn an der Straße raus aus Falls, früh morgens: Nicht schwer zu erkennen, dass er so gut wie tot ist – ich sehe es auf hundert Meter, die Geier am Himmel wissen es, selbst die Fliegen haben ihn schon entdeckt. Nur er selbst hat sich anscheinend noch nicht damit abgefunden: die zertretene Gestalt kriecht unermüdlich die Straße lang. Wenn die Beine grade mal wieder zucken auf alle Vieren, sonst auf dem Bauch kommt er mir langsam und stur weiter entgegen, so wie das vordere Ende einer Kakerlake noch weiter krabbelt, wenn man das hintere schon abgerissen hat und das Innere auf dem Boden verteilt.
Ich bin mal wieder blank, also hab ich in der Stadt nichts mehr verloren. Sie hat mich noch schlimmer ausgesaugt als die letzten Male, und diesmal brauche ich neue Freunde, Freunde mit Waffen. Ich bin auf dem Weg, um mich bei der Armee zu melden.

Als ich bei ihm bin, fängt er zu sprechen an – ich gehe in die Knie, um zu hören. Seine Beine sind gebrochen; und an seinem Rücken eine lange, stinkende Wunde – mit so viel Blut sind nicht einmal mehr die Klamotten etwas wert.

„Wie heißt du, guter Mann?“, frage ich ihn.

„Bernard.“ – eine Stimme wie das Krächzen der Geier über ihm. Es muss ihm höllische Schmerzen machen, mit diesem Mund voll schwärender Entzündungen zu sprechen, aber irgendetwas zieht die Worte aus ihm heraus: „Falls. Wie weit?“

„Zu weit für dich, Bruder“, sag ich. Es gibt genau zwei Menschen, zu denen man ehrlich sprechen darf: einen Sterbenden, und einen Tauben. Und dieser Überrest eines Menschen hier war eindeutig ersteres. „Ich hoffe, du hast deinen Frieden gemacht.“

„Meine Frau“, kommt es weiter aus ihn heraus: „Meine Frau. Ich wollte sie noch einmal sehen... drei Jahre in der Armee. Drei Jahre gespart, getötet und gelitten für sie... Und meinen Kleinen. Müsste jetzt zweieinhalb sein...“

„Du bist von der Armee bis hier gekrochen?“

„Ehrenhaft entlassen. Heimweg, zurück nach Falls. Und in der ersten Nacht Mutanten.“

„Die Armee ist drei Tagesmärsche weg.“

„Haben alle erwischt... hielten mich für tot.“

Er hört nicht mehr zu. Ich halte seinen Kopf in beiden Händen, zwinge ihn mich anzusehen; auch wenn das vordere Ende seines Kopfes wirklich kein schöner Anblick ist.

„Seit wann bist du so unterwegs?“, frag ich ihn.

„Drei Tage, vier Tage... fünf? Egal. Weiß nicht. Falls. Meine Familie!“


Es passiert nicht oft, dass einem im Ödland so einer begegnet. Die meisten Begegnungen hier draußen finden zwischen zwei Menschen statt, von denen der eine Chids in der Tasche hat und der andere eine Knarre in der Hand – oder auch beides – und enden damit, dass der erste nackt in die Wüste rennt. Man findet zwar an jeder Bar den einen Maulhelden, der sagt, dass er seine Stiefel oder seine Chids oder irgendwelche Freunde mit dem Leben verteidigen würde. Aber solche Kerle sterben schnell aus.


Der hier ist nicht so. Zwei Tagesmärsche für einen gesunden Mann sind ein langer Weg; und er war ihn gekrochen. Und das nicht einmal, weil seine Familie in Gefahr wäre, nein, einfach weil er sie noch einmal sehen wollte bevor es ihn erwischt. Ehrenhaft entlassen? Kein Wunder. Hat sicher einen guten Soldaten abgegeben, als er noch gehen konnte.


Aber nach Falls würde er's nicht mehr machen. Und ich – ich war nunmal in die andere Richtung unterwegs, um mich genau in das menschlichen Mahlwerk hineinzuwerfen, aus dem er vor drei Tagen entkommen war: in die Armee. Weil die Armee jeden nimmt. Und ich hatte in Falls zu viele Schulden gemacht, um dort noch einen Morgen zu überleben.

Ich halte seinen Kopf in den Händen. Jedem anderen Kerl in der Verfassung würde man den Gnadenschuss geben wollen – wenn er für die Kugel aufkommt, natürlich –, aber dieser hier ist anders. Er will tatsächlich bis zum letzten Atemzug weitermachen, so hoffnungslos das auch ist. So einer verdient eine Frau und eine Familie.

„Kann ich irgendwas für dich tun, Bruder? Du wirst hier sterben, das weißt du.“

Ein Flackern in seinen Augen. Er weiß es. Er hat schon vor drei Tagen gewusst, dass er es nicht schaffen würde.

„Gib ihr...“ – sein Arm zuckt an seinen Gürtel, zu seinen Taschen. Ich nehme die Größte und halte sie ihm hin.

„Mach sie auf. Mein Sold.“

Heilige Scheiße. In der Tasche sind Chids, aber nicht zu knapp. Das muss tatsächlich sein gesamter Sold aus drei Jahren sein – wenn ich's so durch gucke, sogar noch mehr. Wahrscheinlich haben die versucht, ihn dazubehalten. Ihm Angebote gemacht, aber er hat sich nicht kaufen lassen, der arme Schlucker.

Hättest du mal. Dann hättest du deiner Lieben ein Jahr später doppel so viele Chids mitbegracht, und vor allem wärst du nicht in diese Mutanten geraten. Aber was solls, so geht das eben.


„Für sie“, sagt er. „Nimm davon, soviel du brauchst. Geh nach Falls. Finde sie. Gib ihr, was übrig ist...“ – Seine Augen hören auf sich zu bewegen, und sein Nacken erschlafft. Er ist hin, aber sein Hirn kann wohl immernoch träumen, und so lange kann sein Mund auch noch sprechen: „Sie soll sich ein paar schöne Kleider kaufen... Sag meinem Jungen, Papa ist so stolz auf ihn. Gib ihr meine Liebe weiter... Rose. Rose heißt sie. Gib ihr alles, Bruder, geh, gib es alles Rose.“


Ich halte ihn weiter und spüre seinen Herzschlag an der wunden Kehle.

Eine Stimme hinter mir sagt etwas.

„Wie bitte?“, ich wende mich um. Ein Medic aus der Stadt!

„Ob wir dem no helfe chünne? Sieht ja org mignomme aus.“

Noch hat dieser Fladen in meiner Hand Leben in sich. Ich spüre seinen Herzschlag in den Fingern.
Ich sagte: „Nein... Nein, aber danke. Der Freund hier hat's hinter sich.“
Weit ist die Stadt sie nicht.

Wenn die Medics ihn tragen würden, könnte er es vielleicht tatsächlich doch noch schaffen. Vielleicht.

Ich warte, bis sein Herzschlag verstummt ist, dann durchsuche ich seine weiteren Taschen und finde sieben Tagesdosen Rad-X.


Ihr fragt, ob ich ihn deswegen hab sterben lassen? Nein.

Rad-X ist gut, aber das hätte der mir auch so gegeben, wenn ich ihn zu seiner Familie zurückgebracht hätte. Er hätte mir alles gegeben; hätte gar nicht mehr gewusst wohin vor Freude.


Die Sache ist nur die: der Mann ist drei Jahre lang nicht in Falls gewesen. Und drei Jahre sind eine lange Zeit. Was sein Kind angeht – nun, davon hab ich nie etwas gehört. Wohl aber von Rose.

Rose.

Es gibt nur eine einzige Rose in Angel Falls, und die ist der Grund, warum ich jetzt wieder auf dem Weg in die Armee bin. Die Rose, die seit zweieinhalb Jahren die Spieler, Versager und das ganze restliche Pack nach Falls zieht. Die Rose, von der man sagt, dass der Chef des Casinos für sie mitten am einem gut laufenden Abend den Saal hat räumen lassen. Wegen der sich die Glücksritter vor der Sauna darum prügeln, wer nach ihr als erstes auf die Bank darf, auf der sie gesessen hat.

Ich habe sie gesehen, durch einen Schlitz in einem Vorhang, der bestimmt nicht zufällig da war. Ich habe gesehen, wie sie tanzte. Wie sie durch die Lounge schritt. Wie sie ein Shishamundstück bis zum Schlauch zwischen ihren ewig beweglichen Lippen versenkte, wie sie ihre Beine übereinander schlug und wie sie, kurz bevor sie mit irgendeinem reichen Bonzen ins Separée verschwand, nur einen einzigen Blick in meine Richtung warf – sie wusste von diesem Schlitz im Vorhang, sie wusste es. Diese Frau weiß alles. Ich habe Stunden da bei dem Vorhang verbracht, und Rose ist der Grund, warum ich Falls nicht verlassen habe, als mir das Geld ausging, sondern erst als meine Gläubiger die Söldner geholt haben. Das ist die Rose, wie sie der Rest der Welt kennt. Die Rose, wie ich sie kenne.

Seine liebe Frau so zu sehen, würde dem armen Kerl doch das Herz brechen, oder?


Außerdem soll er ihr keine neuen Klamotten kaufen. Sie soll genau in dieser Corsage bleiben, leicht zu eng, die oben genau so viel einschneidet dass man davon träumen kann, wie diese Brüste sich wohl unter den eigenen Händen formen würden. In diesen Schuhen, in denen sie über jeden Mann der Welt hinwegtritt, und diesen Strümpfen mit beinahe so vielen Löchern wie es Herzen gibt, die wegen Rose schon durchs Feuer gegangen sind.


„Begräbscht du ihn?“, sagt der Medic. „Schön tief, ja?“

Ich bejahe. Ich werde ihn begraben.

Bernard, ich werde dir ein Heldengrab machen! Ich werde dich so tief begraben, dass kein Mutant oder Geier an dein Fleisch herankommt, und von mir aus stelle ich sogar einen Pflock mit deinem Namen auf... und dann, dann gehe ich zurück nach Falls. Du wolltest es doch so! Ich werde zu deiner Rose gehen, und sie wird jeden Chid von deinem Sold bekommen, das verspreche ich dir.
Aber keinen einzigen davon bekommt sie umsonst.


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