KUGELGAI
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Das gebundene Tier


Dieser Text entstand im Rahmen einer Figurenfindung: der beschriebene Charakter kommt in einem anderen Drehbuch vor, und dies ist eine Szene, die sich vor der Handlung dieses Films in ihrem Leben abgespielt haben könnte.
Darum habe ich keine Rücksicht auf Logik oder Realismus genommen.

Clyde sitzt in einem Raum, der dafür gemacht, ist, Menschen darin festzuhalten und schaut mit starrem Gesicht nach vorne.
Bulle 1 sagt zu ihr:

„Frau Kovacs, Sie können von Ihrem Recht zur Aussageverweigerung Gebrauch machen, denn es liegt eine Anzeige gegen Sie vor. Aber eine Aussage könnte Sie augenblicklich entlasten. Darüber hinaus soll ich Sie im Namen von Lucas Eltern noch einmal darum bitten, jede mögliche Information mitzuteilen, die uns zu ihm führen könnte.“


Stunden später sagt ihr ein anderer Bulle:
„Die Anzeige gegen Sie wurde fallen gelassen. Sie haben nichts mehr zu befürchten. Wenn diese Befragung vorbei ist, können Sie unbehelligt wieder nach Hause gehen, auch wenn wir Sie bitten, für weitere Aussagen kontaktierbar zu bleiben.“

Und, noch später:
„Sie sind als Zeugin hier, das bedeutet, sie stehen unter Aussagepflicht. Wenn Sie sich weiterhin der Aussage widersetzen, werden wir beugende Maßnahmen ergreifen müssen. Falls Luca gefunden wird, wird der Fall aber sofort geschlossen. Dann könnten Sie sofort nach Hause.“

Beugehaft.

Am nächsten Tag:

„Gestehen Sie doch endlich! Sie--“
--Ein Kollege ruft der Sprechenden zur Ruhe, er verlässt den Raum.


Noch einmal drei Tage später:
„Frau Kovacs... Sie wollen nicht mit uns sprechen. Ich weiß nicht, ob das ein prinzipielle Entscheidung ist oder ob Sie wirklich etwas zu verbergen haben. Aber so wie Sie das durch ziehen, erwecken Sie immer mehr den Eindruck, dass Sie tatsächlich etwas verschweigen.
In Ihrer Wohnung wurden geschnittene Fingernägel gefunden, die per DNA-Analyse zweifelsfrei Luca zugeordnet werden konnten. Sie hatten ihn bei sich, und das auch für längere Zeit.
Aber das ist jetzt mindestens sieben Tage lang schon nicht mehr so. Selbst wenn – und das sage ich jetzt gegen alle Vermutungen – selbst wenn Sie an seinem Verschwinden nicht schuldig sind: inzwischen könnte ihm sonst etwas zugestoßen sein.
Und, um ganz offen zu sein: der einzige Grund dafür, dass Sie sich anscheinend überhaupt keine Sorgen machen, ist, dass...
Dass Luca bereits etwas passiert ist, als er bei Ihnen war.
Und wenn das so ist, das verspreche ich Ihnen, dann werden wir es Ihnen nachweisen, und Sie werden das Schlimmste angetan bekommen, was die Gesetzeslage zulässt...“
-- bei „zulässt“ zieht unter Clydes unbewegter Maske ein leichtes Lächeln vorbei.

„...aber wenn es noch etwas zu retten gibt, dann sprechen Sie.
Da draußen sind Sie ein Medienstar.
Gestern wurden zwei meiner Kollegen verletzt, als sie Sie vor Demonstranten schützten, die in die Wache eindringen wollten und Ihren Tod forderten.
Wie es aussieht, gibt es mehr Seiten als Ihre und unsere, Frau Kovacs. Und je mehr von den Brüllaffen draußen auftauchen, desto mehr sind wir Ihre Beschützer.
Wir helfen Ihnen, jetzt gerade.
Geben Sie uns doch etwas zurück, zumindest ein einziges Wort!
Für seine Eltern zumindest: Lebt Luca noch?“

Clyde holt Luft wie um zu sprechen, und erstarrt dann. Alle anderen Personen, die im Nachbarraum vor den Monitoren und auch die im Raum selbst, frieren ein. Clyde sieht das. Sie spricht nicht.

„Nur diese eine Information. Danach können wir dieses Spiel so lange weiterspielen, wie Sie möchten. Von mir aus auch, bis wir Sie nach sechs Monaten entlassen müssen.“
Clyde spricht nicht.

„Sie können es sich vielleicht nicht vorstellen, aber wir wollen Ihre Freunde sein.“
--„Sie haben keine Ahnung.“
Dem Satz folgt eine Stille. Zuerst muss der Beamte begreifen, dass es tatsächlich sie war, die da gesprochen hat.
Sie sieht ihn weiterhin an und saugt zitternd Luft ein wie ein Drache, bevor er Flammen speit, aber als sie spricht, ist das leise und deutlich. Ihre Verachtung könnte ohnehin kein Schreien mehr ausdrücken.

Clyde spricht:
„Sie wollen mein Freund sein, unter der Voraussetzung, dass ich mich Ihnen bedingungslos unterwerfe. Das ist keine Freundschaft.
Sie, persönlich, würden mir wahrscheinlich sogar ein Haus am See schenken, wenn ich Ihnen ihre Informationen gebe.
Aber Sie stehen hier nicht persönlich, sondern nur als Repräsentant.
Sie haben mit“ - nur ein winziges Zögern - „Lucas Eltern geredet. Ich mit Luca.
Keinem von uns zeigt sich das ganze Bild, aber ich halte meines für maßgeblich, denn schließlich ist Luca der, um den es hier geht, und nicht seine Eltern.
Luca lebt. Sagen Sie ihnen das.
Aber mehr erfahren Sie nicht.“

Der Polizist zögert. Was immer er jetzt tut – das Falsche sagen, oder falsch schweigen – könnte alles kaputt machen. Schließlich hebt er an:

„Wir können-“,
und bricht sofort ab, als ein Zucken durch Clydes Gesicht geht.
Würde irgendein gnädiger Gott sie mit der Fähigkeit der Drachen ausstatten, läge jetzt das ganze Revier in Flammen.
Aber so etwas passiert in der Wirklichkeit nicht.


„Sie können.“, sagt sie: „Sie können überhaupt nichts. Sie stehen hier nur als Repräsentant ihrer Vorschriften, sie persönlich können gar nichts.
Wenn Sie ihre Informationen haben, würden mich brav in die nächste Stufe der Verarbeitung von widerborstigen Zeugen einspeisen. Und das würde ihnen vielleicht ehrlich Leid tun, aber nicht so sehr, dass sie dafür Ihren Job riskieren würden.
Sie haben mich über Tage bezirzt, eingeschüchtert... gebeten! Aber egal, wie sehr sie sich in diesen Fall involviert führen: Sie hatten immernoch einen Feierabend.
Sagen wir es so: die Situation ist immernoch stark asymmetrisch. Und darum kann ich keine Ihrer Bitten ernst nehmen.

Wenn sie wüssten, wo Luca gerade ist...

Sie würden ihn nehmen, und zu seinen Eltern zurückführen.
Luca wurde nicht entführt, er ist fortgegangen.
Sie können seinen Eltern sagen, dass es ihm im Moment wahrscheinlich besser geht als jemals zuvor, und dass er freiwillig zu ihnen zurückkommen kann, wenn er es will.
Dann werden die selber wissen, warum das nicht passiert.
Sie schützen mich vor dem Mob draußen? Danke.
Sie können sich ja sagen, dass ich Sie schütze vor ihrer eigenen blinden Gehorsamkeit.
Denn ich werde Ihnen nie trauen.
Irgendwann sind auch sechs Monate vorbei.“

Das war vor sieben Jahren.
Inzwischen redet sie nicht mehr so viel über Grundsätze.

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