Als erstes hatte ich immer Angst vor ihnen. Ich hab mich im Bett eingekauert und konnte nicht einschlafen, bis ich einen auf dem Hof gehört hab. Dann erst wurde irgendwann die Angst müde, und ich schlief doch.
Irgendwann schlich ich mich zum Dachstuhl des Geräteschuppens rüber – die Dächer des Wohnhauses und des Schuppens waren über Eck verbunden – und lugte da aus einer fehlenden Schindel in den Hof, um sie auch mal zu sehen.
Und natürlich flößten sie mir immernoch Furcht ein. Der erste, den ich sah, war ein ganz klassischer, mit Hufenfüßen und Hörnern und schwarzen Krallenfingernägeln, und er hatte eine große versiegelte Rolle um die Schulter geschlungen. Er duckte sich durch das Hoftor, setzte sich mir gegenüber mit dem Rücken an die Scheune und lies den Kopf hängen, sodass sein Atem den Schnee auf dem Pflaster schmolz. Eine ganze Weile sah ich nur hin. Irgendwann raffte er sich dann auf und ging wieder.
Und in den folgenden Nächten beobachtete ich viele verschiedene Formen – Tierhafte, andere wie riesige hässliche Ungeziefer, betörende Succubi – bis ich mir zu jeder Art von nächtlichem Getrappel, Schnaufen oder Hecheln ein Körperteil vorstellen konnte, von dem es wohl ausgehen würde.
Und ich schlief immer besser.
In einer Nacht dann sah mich einer an, direkt, durch mein kleines Guckloch. Ich hatte nie daran gedacht, dass sie vielleicht auch im Dunkeln sehen könnten. Dieser hatte ein menschliches Gesicht, sehr ansehnlich sogar, aber verschoben angebracht an einem zu großen schuppigen Kopf und halb verborgen unter einem riesig wuchernden Gehörn. Unterschiedliche Beine – einen Huf, eine Kralle –, und auf dem Rücken Flügel wie ein Umhang, aber löchrig. Eine völlig widersinnige Physis. An einem Schultergurt hing eine Tasche mit Briefen.
Nun, ich hatte davor, am Tag, beobachtet, wie Mama einen vorbeiziehendem Wanderer empfangen und bewirtet hatte. Als er an der Tür stand, hatte er sich vorm Anklopfen noch mit ein paar militärischen Orden behangen – ich hatte es von meinem Platz im Geräteschuppendach beobachtet. Mama war sehr zuvorkommend zu ihm gewesen.
Und der arme Dämon da unten sah so müde aus.
Also schlich ich mich in die Küche runter und nahm einen Becher Wasser, eine kleine Kanne Milch und vom Ofen ein paar Briketts (wer weiß schon, was Dämonen so essen? Aber sie sind sehr heiß innen, da konnten Briketts nicht ganz falsch sein), und brachte sie zu ihm raus. Ich ging ganz langsam an ihn ran, aber er hatte mich ja schon gesehen (und schaute mich auch ununterbrochen an), also wenn er mir was Böses wollte, hätte er mich lange schon totgeschlagen haben können.
Dieser war ein relativ kleines Exemplar, drei Meter vielleicht im Stehen. So wie er an der Scheunenwand zusammengesunken war konnte ich ihm die Briketts bis in den Mund reichen. Die aß er auch hungrig auf, nur grob zerkaut schlang er eins nach dem anderen runter. Dazu trank er viel Wasser – ich musste dreimal neues holen –, aber am Milchkrug wurde nur mal kurz geschnuppert, bevor er mir die Milch vorsichtig und mit zittrigen Händen zurückgab.
Er sah mich an, holte Luft und fragte, warum. Mit einer Stimme wie von tausenden, tief und von fern. Aber ich wusste nichts kluges zu sagen, darum zuckte ich nur die Schultern und räumte das Geschirr weg. Als ich wiederkam, war der Hof leer, und auf die Stelle wo er gesessen hatte, fiel wieder Schnee.
Es war plötzlich wieder sehr kalt im Hof.
Heute haben wir immer viel zu viele Briketts vorrätig als der Ofen bräuchte, außerdem Holzkohle und Steinkohle, Teer und manchmal auch etwas Schwefel. Die Boten kommen immernoch jede Nacht und ruhen sich bei uns aus, mit manchen kann man sich auch richtig unterhalten.
Mit einem hab ich sogar mal Schach gespielt, aber als ich ihn das erste Mal Schach gesetzt hatte – keine gefährliche Situation eigentlich –, hat er die vier Türme angezündet, das Schachbrett aufgegessen und sich in den Boden gegraben. Ich hoffe, er kommt irgendwann wieder raus. Ich glaub, dann würd ich ihn gewinnen lassen.
Ich weiß nicht, was für Botschaften sie überbringen, sie aber auch nicht, und die Namen der Absender und Adressaten sagen mit auch nie was. Aber das muss nichts heißen, sie haben für viele Dinge eigene Namen. Mich sprechen sie auch immer mit verschiedenen Namen an, von denen ich bisher kaum einen aussprechen konnte.
Manchmal kann man auch mit einem ein Gespräch anfangen und der haut dann mittendrin ab, und irgendein anderer führt es dann eine Woche später einfach an dem Punkt weiter. Das ist immer etwas verwirrend, aber ich notiere mir, wo die Gespräche standen.
Inzwischen bringen sie uns auch manchmal etwas mit, auch wenn sie anscheinend Probleme haben, zu unterscheiden zwischen Brot und Steinen oder Schlangen und Fisch, oder Gold und Stroh. Aber egal.
Mittlerweile sind wir eigentlich hauptsächlich Gasthof für sie und nur noch nebenher Bauern. Das ist auch gut so, denn seit dem großen Strohfeuer letztes Jahr, das über Tage einfach nicht aufhören wollte, und das so irgendwie falsch klang – seitdem wächst in der ganzen Gegend hier nichts mehr wirklich gut. Ich hab unsere Nachbarn reden hören, dass das Feuer Teufelswerk gewesen sein soll – keine Ahnung, ob sie es waren, vielleicht. Aber es war sicher keine Absicht. Das mit der Fruchtbarkeit des Bodens.
Wie auch immer – an den Mauern von unserem Hof grünt das Moos wie eh und je, und auch rundherum ist das Gras noch ganz normal grün. Vielleicht täusche ich mich, aber ich habe sogar den Eindruck, dieser Flecken richtigen Grünseins um unseren Hof herum würde langsam wieder größer.